Sanfte Renovierung
Die Dörfer der Siebenbürger Sachsen
Rumänien ist ein Land historisch gewachsener Unterschiede. Die vielen Hügel- und Bergketten Rumäniens haben zusätzlich dafür gesorgt, dass sich eine Vielzahl an Kleinregionen mit unterschiedlichem kulturellen Gepräge entwickeln konnte.
8. April 2017, 21:58
Wenn man als Individualtourist von Rumänien etwas haben will, dann mache man nur ungefähre Reisepläne. Eine fixe Route mit vorab gebuchten Zimmern kann dazu führen, dass man auf hoffnungslos überlasteten Nationalstraßen zwischen stinkenden Lastern hertuckert und sich fragt, was Rumänienfans wohl an diesem Land finden mögen. Viele der schönsten Ziele liegen an Nebenstraßen - und "Nebenstraße" bedeutet manchmal "Schlaglochpiste" oder "besserer Feldweg".
Alte Dörfer
In einem Land mit so wenig Autobahnen und immer noch vielen Pferdewagen, da reist man nicht schnell. Langsamer noch in Transsilvanien, diesem Ozean von Hügeln und Gebirgen. In unerschöpflichen Varianten gruppieren sich die rumänischen Karpaten zu Ketten und Panoramen; den Alpen und Voralpen ähneln sie nur stellenweise.
Es war die Topographie selbst, die sich hier gegen Ceausescus Industrialisierungswahn sperrte. Nicht Fabriken und Plattenbausiedlungen herrschen vor in diesem Landesteil; sondern Dörfer, die noch vor zehn Jahren oft aussahen wie aus dem vorindustriellen Europa herübergerettet.
Es war aber nur eine Frage der Zeit, bis die zweifelhaften Segnungen des modernen Häuslbauerwesens nach Rumänien vordringen würden. Nichts gegen neue Architektur auf dem Land - wenn sie auf so hohem Niveau stattfindet wie beispielsweise in Vorarlberg. In Rumänien aber setzt jene Art von Dorfzerstörung ein, wie sie etwa im Burgenland seit Jahrzehnten vor sich geht. Allein in Transsilvanien finden sich Dutzende ganz verschiedene regionale Baukulturen. Zwischen ihre wundervollen Zeugnisse knallen die Leute Renommierburgen mit Kunststofffenstern, mit penetrant leuchtenden Dächern wie aus der Retorte, mit pseudobarocken Balustraden.
Renovierung mithilfe des Eminescu Trust
Durch ein paar Kilometer Hügellandschaft rumpelt man auf unasphaltierter Straße nach Viscri oder Deutsch-Weißkirch. Der Ort wurde vor über 900 Jahren von deutschen Siedlern gegründet. Die Dörfer der Siebenbürger Sachsen gehören zu den schönsten Europas: die typischen Häuser auf hohen Sockeln, in zarten Pastellfarben, mit kleinen plastischen Verzierungen an den Schmalseiten, die zur Straße weisen.
Prince Charles soll hier ein kleines Refugium besitzen - so will es die Fama. Die offizielle Variante lautet: Er kommt manchmal auf Besuch. Der britische Thronfolger ist Schutzherr des Mihai Eminescu Trust. Diese englisch-rumänische Stiftung mit dem Namen des rumänischen Nationaldichters renoviert Dorf um Dorf, vor allem Ortschaften, die nach dem Massenexodus der Siebenbürger Sachsen halb verfallen waren.
Oft bezogen mittellose Roma die leeren Häuser in den Sachsendörfern und hielten sie mangelhaft oder gar nicht instand. Der Eminescu Trust gibt ihnen Know-how und Baumaterial für die Renovierung. Der ganzheitliche Ansatz der Stiftung nennt sich "The whole village project". Im Zuge der Dorfsanierung werden zugleich Verdienstmöglichkeiten für die Bewohner geschaffen.
Stricken für Selbstverdientes
Ein Ehepaar aus Deutschland, das jahrelang in Viscri lebte, betreibt das Sockenprojekt. Die Wolle für die handgestrickten Socken wird in einer Spinnerei im Dorf erzeugt. Die Socken gehen unter anderem auf deutsche Weihnachtsmärkte, werden aber auch während des Sommers am Straßenrand an Touristen verkauft. Es stärkt die Position der Romafrauen gegenüber ihren Ehegatten, dass sie eigenes Geld verdienen. Ein Teil des Lohns für das Stricken wird auf Wunsch in Naturalien wie Lebensmitteln bezahlt. Auch, damit gewährleistet ist, dass nicht einzelne Männer den Erlös vertrinken.
Deutsch-Weißkirch hat UNESCO-Welterbe-Status. Es wurde und wird mit großer Sachkenntnis und behutsam renoviert. Mehr als 45 Touristen auf einmal haben nicht Platz. Daher wirkt der Ort nicht wie ein touristisches Disneyland - schon weil die meisten hier sehr einfach, wenn nicht arm leben. Ein Touch von Museumsdorf haftet Viscri trotzdem an.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 19. November 2007, bis Donnerstag, 22. November 2007, 9:30 Uhr
Links
Mihai Eminescu Trust
viscri.de
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