Ein neues EU-Mitglied holt auf
Nachholende Entwicklung
Rumänien ist ein Nachzügler im Aufholprozess nach dem Zerfall des Kommunismus. Doch mit der EU-Mitgliedschaft seit Anfang des Jahres beschleunigt sich der Wandel in der Gesellschaft. Aber auch hier gibt es Verlierer.
8. April 2017, 21:58
Seit heuer ist Rumänien in der Europäischen Union. Aber nicht erst der Beitritt, sondern schon die Vorbereitungen auf die EU, haben den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel des Landes enorm beschleunigt. Rumänien ist ein Nachzügler im Aufholprozess nach dem Zerfall des Kommunismus.
Während andere ehemals kommunistische Länder wie Polen, Tschechien oder Ungarn in den 1990er Jahren Reformen umsetzten, behielten in Rumänien die ehemaligen Kommunisten die Macht und das Land hat viele Jahre verloren.
Beliebtes Billiglohnland
Die Löhne sind letztes Jahr um 20 Prozent gestiegen. Die Wirtschaft wächst rasant, rund sechs Prozent werden es heuer. Die Bauindustrie boomt, ebenso der Immobiliensektor und die Auto- und Konsumgüterindustrie. Ein Facharbeiter verdient im Schnitt 300 Euro im Monat, etwa halb so viel wie ein polnischer Arbeiter, oder ein Drittel des EU-Durchschnittsgehaltes. Nur die Bulgaren verdienen noch weniger in der EU.
Für ausländische Firmen ist Rumänien ein beliebtes Billiglohnland und ein strategisch wichtiger Markt. Rund neun Milliarden Euro an Direktinvestitionen hat Rumänien letztes Jahr bekommen, heuer ist es etwas weniger. Österreich ist der größte Auslandsinvestor in Rumänien, die Übernahme des Ölkonzerns Petrom durch die OMV und die Übernahme der Bank BCR durch die Erste Bank sind die bekanntesten Beispiele.
Ungleiche Einkommenssituation
Gut ausgebildete Menschen haben in Rumänien sehr gute Jobchancen, sagt Ella Kallai, Wirtschaftsprofessorin an der Universität in Klausenburg in Siebenbürgen, die auch für die griechische Alpha Bank arbeitet. Ins Ausland würden eher jene mit wenig Bildung gehen, sie suchen als Saisonarbeiter im Baugewerbe, in der Landwirtschaft oder in Pflegeberufen ihr Glück.
Die Rumänen im Ausland schicken pro Jahr fünf Milliarden Euro heim, ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes. Dieses Geld heizt zwar den Konsum an, aber weil es keiner heimischen Produktivität gegenüber steht, heizt es auch die Inflation an, sagt Kallai. Das größere Problem aber sei, dass diese Fachkräfte in Rumänien fehlen, allein im Baugewerbe fehlen 150.000 Arbeiter.
Der tägliche Machtkampf
Nach dem EU-Beitritt hätten die Politiker ihr gemeinsames Ziel verloren, sagt Sandra Pralong, Politikberaterin bei Synergetica. Jetzt würden sie wieder gegeneinander um die Macht streiten.
Der politische Machtkampf spiele sich auf zwei Ebenen ab. Erstens zwischen den Parteien, also zwischen der regierenden Koalition, sie besteht derzeit aus der Liberalen Partei und einer Partei die die ungarische Minderheit repräsentiert - und den Oppositionsparteien, dazu gehören jetzt die Demokraten, die in der Koalition waren und die Sozialisten.
Die Sozialisten wurden jahrelang vom ehemaligen Kommunisten Ion Iliescu angeführt, er war in den 1990er Jahren Präsident. Aber: Der wichtigere Machtkampf, sagt Pralong, finde aber zwischen dem Präsidenten Traian Basecu, einem charismatischen ehemaligen Schiffskapitän und dem Premier Minister Calin Popescu Tericeanu statt.
Dieser Machtkampf werde sich noch eine Weile weiter ziehen bis die Karten neu gemischt werden, denn nächstes Jahr wird ein neues Parlament gewählt und übernächstes der Präsident. Bis dahin leide die Umsetzung der Reformen.
Eine weitere Konsequenz des innenpolitischen Hickhacks, sei, dass die Regierung noch zu wenig konkrete Vorstellungen habe, wie die EU-Förderungen ausgegeben werden sollen. Heuer werden voraussichtlich ein Viertel der EU-Fördergelder für Landwirtschaft nicht ausbezahlt, weil es noch immer keine Behörde gibt, die das Geld verteilen kann, das sind 180 Millionen Euro. Die Förderungen verfallen zwar nicht, kommen aber erst später.
Kommt das Geld aus Brüssel nicht, kann das der Opposition, also den früheren Kommunisten, und den Nationalisten in die Hände spielen, warnt Sandra Pralong.
Die EU sei wichtiger als die Innenpolitik, sagt der österreichische Handelsdelegierte Walter Friedl, denn: Jede Regierung wird die Reformprozesse die die EU verlangt, fortsetzen müssen.
Von den 30 Milliarden Euro die an EU-Förderungen zugesagt sind, könnte fast die Hälfte in Projekte fließen, die von österreichischen Unternehmen umgesetzt werden, sagt Friedl. Besonders im Bereich Infrastruktur, weil viele Straßen gebaut werden. Aber auch im Umweltbereich und im Tourismus gäbe es große Chancen.
Die viel beklagte Korruption sei in der Wirtschaft kein Thema mehr sagt Friedl. Von den Rumänen erfährt man aber - hinter vorgehaltener Hand, dass Schmiergeld im Umgang mit Behörden doch noch Usus ist, zum Beispiel wenn man rasch eine Genehmigung braucht, oder im Krankenhaus früher behandelt werden will. Das Schmiergeld fettet für viele die mageren Löhne auf. Auch die Schattenwirtschaft beträgt immer noch ein Drittel der Wirtschaftsleistung des Landes, sagt die Ökonomin Ella Kallai.
Problemfall Landwirtschaft
Das größte Sorgenkind der rumänischen Wirtschaft ist die Landwirtschaft. Und das obwohl Rumänien sehr fruchtbare Böden hat und einst die Kornkammer Europas war. Aber heute muss Rumänien Lebensmittel importieren. Deshalb sind die EU-Förderungen für die Bauern so wichtig. Knapp ein Drittel der Bevölkerung sind Bauern, sie erwirtschaften aber nur fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes, weil sie nur für den eigenen Bedarf wirtschaften.
Ausblick
Der EU-Beitritt und die damit verbundene Einladung Hermannstadt zur Kulturhauptstadt Europas zu machen, haben heuer auch viel dazu beigetragen, Rumänien in den Köpfen aller Europäer wieder auf die Landkarte Europas zu bringen. Auch außerhalb Europas müsse sich Rumänien positionieren, sagt Pralong Die NATO-Mitgliedschaft und die enge Verbindung mit den USA seien daher für Rumänien sehr wichtig. Deshalb ist nächstes Jahr eine NATO-Tagung in Rumänien geplant.
Noch ist viel zu tun um das Image Rumäniens im Westen zu verbessern. Die Liste ist lang: Laut Transparency International ist Rumänien das korrupteste Land in der EU.
Der Kampf gegen die Korruption, aber auch die Justizreform, gehören heute zu den Hauptaufgaben der Politik.
Wirtschaftlich geht es Dank EU-Gelder und Auslandsinvestitionen bergauf, auch wenn sich das Wachstum in den kommenden Jahren etwas abschwächen wird, sagen Ökonomen. Sie sehen in den nächsten Jahren einige große Herausforderungen: Der Fachkräftemangel in den Ballungszentren, die große Armut am Land, und die Aufgabe, genügend gute Projekte aufzustellen um die Fördergelder aus Brüssel einzusetzen.
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