Der berüchtigte Paragraph 5
Was kostet eine Baugenehmigung?
Allein durch Preisabsprachen bei öffentlichen Baumaßnahmen entsteht in Deutschland jährlich ein volkswirtschaftlicher Schaden von 5 Milliarden Euro. In Österreich - und vor allem in Wien - dürfte die Situation nicht viel anders sein.
8. April 2017, 21:58
Die wichtigste Verhaltensregel für Beamte mit Interesse an Nebeneinkünften lautet, niemals explizit Geld zu fordern oder gar eine konkrete Summe zu nennen. So vernahm manch Wiener Häuslbauer noch zu Schilling-Zeiten die bald schon geflügelten Worte, dass bei seiner Baugenehmigung §5 zur Anwendung kommen werde. Der Antragsteller war gut beraten, nicht etwa in der Bauordnung nachzuschlagen, sondern seinen Unterlagen 5.000 Schilling beizulegen. In besonders heiklen Fällen verwiesen Baupolizisten auch auf §10.
Welche Paragraphen seit der Währungsumstellung über die Erteilung einer Baugenehmigung entscheiden, war nicht zu eruieren. Als gesichert gilt jedoch, dass rund 700 Euro aus einem vermeintlich fehlerhaften Plan für ein Einfamilienhaus ein bewilligungsfähiges Dokument machen können.
Architekten bei der Baubehörde
Bei etwas größeren Bauvorhaben werden in der Regel die Architekten bei der Baubehörde vorstellig. Bei ihren Plänen müssen Beamte schon ins Detail gehen, um Gründe für eine Verhinderung oder zumindest Verzögerung der Baugenehmigung zu finden. Beliebt ist die Bemängelung des Kanalplans, der die Entwässerung eines Gebäudes darstellt. Zwar gibt es dafür Normen, doch bieten diese einen breiten Interpretationsspielraum.
So müssen im Abwassersystem in bestimmten Abständen Putztüren vorgesehen werden - die Frage nach der richtigen Position stellt sich aber nach jeder Richtungsänderung eines Rohres neu. So kommt es vor, dass der Beamte letztlich vom Architekten beauftragt wird, den Kanalplan gegen entsprechendes Honorar selbst zu zeichnen. Nicht immer kann der Architekt dabei auf die Schmiergeldkasse seines Bauherrn zurückgreifen, denn wenn es sich etwa um einen Bauauftrag der Stadt Wien handelt, muss er das Bakschisch an die Wiener Baubehörde aus eigener Tasche zahlen.
Üppige Einladungen
Bauverhandlungen und Kollaudierungen stellen weitere "bereichernde" Tätigkeiten unterer und mittlerer Beamter der Baubehörde dar. Die Verlegung einer Bauverhandlung von der Baustelle ins Amtsgebäude der Baupolizei ist manchem Bauherrn ein kleine Gefälligkeit wert, da Anrainer, die Einsprüche gegen ein Projekt erheben könnten, sich selten die Mühe machen, dafür zum Magistrat zu gehen.
Kollaudierungen, also Überprüfungen der planungsgemäßen Bauausführung, werden üblicherweise von einem üppigen Mittagessen begleitet, das der Bauherr ausrichtet. Wird bei der Begehung die eine oder andere Bausünde übersehen, kann es schon einmal vorkommen, dass eine Flasche guten Cognacs oder ein Kuvert mit 500 bis 1.000 Euro den Besitzer wechselt. Dies ging in den letzten Jahren allerdings merklich zurück, da mittlerweile eine simple Fertigstellungsanzeige durch den Architekten eine Kollaudierung ersetzen kann.
Höher, weiter, gewinnbringender
Höhere Beamte werden in diesem Spiel selten von sich aus aktiv, sondern sehen sich von Grundstückseigentümern und Bauträgern mehr oder weniger stark umworben - nicht nur mit Geld, auch mit Einladungen zu opulenten Festen, gemeinsamen Urlauben oder anderen Annehmlichkeiten. Sei es, um eine lukrativere Flächenwidmung zu bekommen, sei es, um mit Hilfe des berüchtigten Ausnahme-Paragraphen 69 ein Projekt höher, breiter oder einfach nur gewinnbringender, als ursprünglich genehmigt, bauen zu können. Da es dabei mitunter um Wertsteigerungen in Millionenhöhe geht, wie das Beispiel des um 31 Meter zu hoch geratenen Millennium Towers zeigt, ist zu befürchten, dass manche Spitzenbeamte bei ihren Entscheidungen nicht nur beide Augen zudrücken, sondern auch die eine oder andere Hand aufhalten.
Bauen ohne Genehmigung
Wie anfällig die Wiener Stadtplanung für "Unregelmäßigkeiten" ist, zeigten jüngst gleich mehrere Kontrollamtsberichte: etwa aus dem Jahr 2002 über die Magistratsabteilung MA 21B: Deren früherer Leiter war nebenberuflich Konsulent eines Wiener Wohnbauträgers - und versuchte, für diesen durch höchst unübliche Amtshandlungen eine geschützte Grünfläche in Bauland umzuwidmen, was eine Wertsteigerung von 9 Millionen Euro bedeutet hätte.
2001 untersuchte das Kontrollamt 132 großflächige Handelsobjekte, die in den 1990er Jahren in Wien entstanden waren. In über 40 Prozent der Fälle fehlten die erforderlichen Widmungen oder Genehmigungen für ein Einkaufszentrum, also für eine Handelseinrichtung mit mehr als 2.500 Quadratmetern Fläche. Im 22. Bezirk zum Beispiel steht ein Shopping Center, das zunächst in Form von elf aneinandergrenzenden, allerdings eigenständigen Geschäften mit jeweils 2.490 Quadratmetern errichtet wurde. Noch vor Fertigstellung wurden diese Shops jedoch durch 37 baubehördlich genehmigte Feuermauerdurchbrüche zu einem Einkaufszentrum mit 27.000 Quadratmetern verbunden.
Die Reaktion der Wiener Stadtregierung auf diese Missstände bestand darin, die kontrollierten Magistratsabteilungen einfach aufzulösen beziehungsweise den Abteilungsleiter in Pension zu schicken. Die zuständigen Stadträte erweckten den Eindruck, als ob sie selbst damit nicht das Entfernteste zu tun hätten. Dabei wäre es höchst blauäugig, zu meinen, eine korrumpierbare Verwaltung könne unter der politischen Führung von untadeligen Saubermännern gedeihen. Der Verdacht, dass Wiens Stadtväter schwarze Koffer mit Geld entgegen nähmen, entbehrt tatsächlich jeglicher Grundlage. Es gibt aber zahlreiche andere Benefits, die ihre Entscheidungen massiv beeinflussen können - von Spenden an die Parteikasse über kostenlose politische Werbung in den Medien bis hin zu gut bezahlten Funktionen nach der Rathaus-Karriere.
Public Private Partnerships
Die jüngste Spielart der - verniedlichend als Freunderlwirtschaft - titulierten Bevorteilung einzelner Bauträger und Investoren ist die sogenannte Public Private Partnership. Dabei entwickelt die Stadt Wien gemeinsam mit privaten Unternehmen große Immobilienprojekte, in die sie nicht selten wertvolle kommunale Grundstücke einbringt. Unabhängige Experten wie auch die Rathaus-Opposition werfen der Stadtregierung vor, diese Liegenschaften oft weit unter ihrem Marktwert zu veräußern. Um solchen Anfechtungen zumindest juristisch zu entgehen, werden von der Stadt und ihren Partnern für diese Joint-ventures eigene Tochtergesellschaften gegründet, deren kommunaler Anteil in der Regel unter 25 Prozent liegt. Dadurch entfallen die für die öffentliche Hand bindenden Wettbewerbs-, Ausschreibungs- und Vergaberichtlinien ebenso wie die Kontrollmöglichkeiten durch den Gemeinderat, den Rechnungshof und andere Instanzen.
Auffällig ist, dass immer wieder dieselben Unternehmen als Partner solcher PPP-Projekte zum Zug kommen – sei es die größte Bank des Landes, die aus der stadteigenen Zentralsparkasse hervorging, sei es der zweitgrößte Baukonzern Österreichs, an dem die Stadt Wien sogar Aktien hält. Der Öffentlichkeit wird gern vermittelt, dass die Public Private Partnership nicht nur dem Investor, sondern auch der Stadt Vorteile bringe. Dies mag sogar zutreffen - nur wird die Rechnung für solche Deals unter Freunden von der Bevölkerung bezahlt.
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Diagonal, Samstag, 24. November 2007, 17:05 Uhr
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