Genialer Vielschreiber und Schuldenmacher
Balzac. Eine Biografie
Nicht als einen schlampigen, als einen genialen Vielschreiber will Johannes Willms Balzac porträtieren und dessen Bild neue Facetten hinzufügen, die er der Auswertung der umfangreichen, zum Teil erst kürzlich veröffentlichten Balzac-Korrespondenz verdankt.
8. April 2017, 21:58
"Zweimal haben wir versucht, den deutschen Leser mit Balzacs vollständiger 'Comédie Humaine' in 40 Bänden zu beglücken. Zweimal erwies sich das Vorhaben als vergebliche Liebesmüh", schreibt der Züricher Verleger und Diogenes-Chef Daniel Keel in seinem aktuellen Verlagsprospekt - und kündigt keine dritte vollständige Comédie-Humaine-Ausgabe an, sondern eine schön ausgestattete, achtbändige Best-Of-Edition und eine "mitreißende neue Balzac-Biografie". Geschrieben hat diese, von der der Verleger sich möglicherweise eine Art Türöffner für das gigantische, aber hierzulande weitgehend ignorierte Oeuvre des Romanciers verspricht, Johannes Willms, seines Zeichens Napoleon- und Bismarck-Experte und frankophiler Journalist, der Balzac für einen bekannten Unbekannten hält, gebrandmarkt vom Klischee des schludrigen Vielschreibers.
Das Leben, ein Roman
Was ist das nun für eine Balzac-Biografie, von der sich ihr Verleger ein neues Balzac-Interesse erhofft? Sie ist, soviel vorweg, eine durchaus konventionelle, die sich ganz auf die Chronologie eines Lebens konzentriert, keine Neudeutung des Werks riskiert und keine Sozial- oder Sittengeschichte der Zeit expliziert. Kurz und knapp, in eingängiger, flotter Sprache, ohne Bebilderung, ohne Fußnoten oder Quellenhinweise, geht es immer nur um eines: um Balzac, seinen Werdegang, seine Ambitionen und Amouren, seine Extravaganzen und Megalomanien, sein Luxusleben auf Pump.
"Eine Biografie Balzacs, nicht nur meine, ist ein notwendiges Stück der Comédie Humaine. Dieses Leben ist ein Roman - das ist ein roman vecu, also ein gelebter Roman von Balzac Und er ist die Hauptfigur in diesem Roman gewesen", sagt sein Biograf.
Dieses Leben, das ein Roman war, begann 1799 in Tours und endete 51 Jahre später in Paris mit einem Armenbegräbnis auf dem Père Lachaise. Dazwischen eine Kindheit, die streng und freudlos war, und ein Erwachsenenleben, in dem die Wirklichkeit mit den Wünschen nie Schritt hielt; eine Jugend, deren fehlende Nestwärme und Mutterliebe Balzacs spätere Affinität zu älteren Frauen erklärt, und eine "Reifezeit", die eine solche nicht war.
Genialer Schuldenmacher
Balzac blieb ein "wirkliches Kind", schreibt sein Biograf, naiv, weltfremd und realitätsblind. Und eitel: ein beleibter, kurzbeiniger Geck, der mit seinem affigen Gehabe, seinen gelben Glacehandschuhen und den auffälligen Spazierstöcken, zur wandelnden Karikatur wurde: "Er hat gesagt, mir kommt es darauf an, dass ich das Geld zum Verplempern habe, und ob ich das wieder zurückzahlen kann, das ist mir egal... Auch das ist genial, wenn man so Schulden machen kann", anerkennt Willms.
Balzac, der schon früh als Schriftsteller zu reüssieren sich fest vornahm, versuchte sich zunächst, erfolglos, als Dramatiker, dann mit historischen Romanen, mit eilig verfasster Mansardennovellistik. Mit dreißig dann der Durchbruch, mit dem Roman "Die Physiologie der Ehe". Da stand er schon mit über 100.000 Francs in der Kreide - rund zwanzig Jahresgehältern eines Abteilungsleiters im Ministerium -, ein Schuldenstand, den er in den nächsten zehn Jahren mehr als verdoppeln sollte.
Moderner Marketingstratege
Obwohl er Jahr für Jahr mehrere Romane auf den Markt warf, oft gut dotierte Kontrakte erhielt und sich auch bei Zeitungen und Zeitschriften verdingte, hinkten Balzacs Einnahmen doch stets den Ausgaben hinterher. Opulente Festessen, exquisite Kleidung, luxuriöse Wohnungen inklusive Dienstpersonal sprengten das Budget eines Schriftstellers, dem es nur um eines ging: um Reichtum und sozialen Aufstieg. Die Literatur war dabei nur Mittel zum Zweck. In ihrer geradezu fabrikmäßigen Fertigung verbirgt sich, laut Willms, das Geheimnis von Balzacs "verstörender Modernität und staunenswerter Aktualität". "Er wollte als Schriftsteller vom Schreiben leben - und das in Zeiten, wo sie kein Copyright hatten", so Willms.
Johannes Willms zeichnet - durchaus lebendig und temperamentvoll - Balzacs schillerndes Leben nach, zwischen armem Poet und neureichem Snob, zwischen schwärmerischem Liebhaber und unfähigem Unternehmer, der sich als Verleger, Buchdrucker und Zeitungsherausgeber blamierte, zwischen reaktionärem Politiker und fröhlichem Schuldenmacher.
Er greift dabei auf eine umfangreiche Korrespondenz zurück, wie jene mit der polnischen Gräfin und späteren Balzac-Ehefrau Eveline Hanska, ohne zu verkennen, dass auch das scheinbar Private Dokument einer unablässigen Stilisierung und Täuschung war.
Er rekapituliert das Leben eines Seiltänzers, eines "gehetzten Hasen", so Balzac über Balzac, der eine titanische Arbeitsleistung vollbrachte und doch nie sein Ziel erreichte, eines Genussmenschen und Parvenüs, bei dem Selbstbetrug und Selbsterkenntnis wie Licht und Schatten wechselten und eine gute Portion Größenwahn nie fehlte: "Ich will über die intellektuelle Welt ganz Europas herrschen" - Originalton Balzac.
Sein Herrschaftsmittel sollte die Literatur sein, die er als Handwerk verstand, nicht als Kunst, und die doch mehr war als das Werk eines Fließbandarbeiters. Willms: "Das ist ein Genie gewesen. Wenn Balzac kein Genie war, wüßte ich nicht, auf wen man diesen Begriff sonst anwenden könnte. Ein Mann, der eine ganze Gesellschaft erfunden hat, einen Roman mit 2.000 Leuten bevölkert hat, die unverwechselbar sind, deren Leben wir kennen von der Geburt bis zum Tod: Das ist nichts weniger als genial. Sie müssen bedenken, die Comédie Humaine, dieses Riesenwerk von fast hundert Romanen, ist ja in nur zwanzig Jahren enstanden."
Resümee
Mit seinem Balzac-Buch ist Johannes Willms eine gut lesbare und informative Biografie gelungen, die nichts beschönigt oder idealisiert und immer wieder auch die - reichlich vorhandenen - Widersprüche und Schattenseiten dieser Schriftstellerexistenz ins Zentrum rückt. Ganz befriedigen kann sie freilich nicht. Hinweise auf Rezeption und Wirkung des Balzac‘schen Werks sucht man ebenso vergebens wie eine Erwähnung der Balzac-Philologie und ihrer Streitfragen. Dass man ausführliche Werkinterpretationen in einer eher straff angelegten Lebensbeschreibung unterbringt, wird niemand erwarten, hie und da einen kurzen Kommentar oder ein literarisches Urteil hätte sich der Autor aber doch erlauben dürfen. Auch der historische Kontext, das Paris des juste milieu, bleibt eher unterbelichtet. Und schließlich wird die Modernität Balzacs vor allem in dessen Marketinggenie gesehen, in der Verwertung seines Werks. Was aber ist mit dem Werk selbst, der Comédie Humaine, dem Riesenopus, das der Schweizer Verleger komplett neuaufzulegen sich (noch) nicht wieder traut?
Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 16. Dezember 2007, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Johannes Willms, "Balzac. Eine Biografie", Diogenes Verlag
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Diogenes