Schriftsteller und Friedensaktivist Amos Oz

Paradies und Hölle sind beide in uns

Israel ist ein kleines Haus für zwei Nationen. Eine glückliche Familie können Israelis und Palästinenser nicht werden, denn sie sind nicht glücklich und auch nicht eine Familie. Das Haus muss daher in zwei Wohnungen geteilt werden, findet Amos Oz.

Helene Maimann spricht mit Amos Oz

Im Jahr 1939 als Kind eines aus Osteuropa eingewanderten Gelehrtenpaars in Jerusalem geboren, wollte Amos Oz nach dem Freitod seiner Mutter alles anders machen als sein intellektueller Vater - und fand sich nach dreißig Jahren Kibbuzleben am Ende doch in einem Raum voller Bücher wieder.

Der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller stand auch im Rampenlicht des vorjährigen Lesefests "Literatur im Nebel" im Waldviertler Heidereichstein. Bevor Amos Oz nach Tel Aviv zurückflog, führte Helene Maimann mit ihm ein Gespräch über Familien, Rebellionen, über Europa und die Juden, und über seine Träume von Israels Zukunft.

Helene Maimann: Sie kritisieren die Europäer auch wegen ihrer Haltung zum Nahost-Konflikt. Dass sie ein Schwarz-Weiß-Denken haben, das keinesfalls funktioniert.
Amoz Oz: Europäer sind daran gewöhnt, über internationale Fragen in Schwarz-Weiß zu denken. Die europäische Haltung hört sich sehr oft so an: Veranstalten wir eine Demonstration gegen die Bösen, unterzeichnen wir eine Petition für die Guten und gehen wir dann ruhigen Gewissens schlafen. Es gibt keine Guten und keine Bösen im Nahen Osten. Der Zusammenstoß zwischen den israelischen Juden und den palästinensischen Arabern ist ein tragischer, in dem beide Recht haben. Aber es geht nicht um gute und böse Leute. Das ist kein Hollywood-Film. Europa sollte besser beiden Seiten helfen. Es ist ganz falsch, wie eine altmodische Lehrerin mit dem Finger zu drohen.

Wo sind die Leute auf der palästinensischen Seite, mit denen die Israelis reden können?
Da gibt es eine große Gruppe von palästinensischen Intellektuellen und Politikern, die pragmatisch sind. Die Mehrheit der Palästinenser ist bereit, in einer Zweistaaten-Lösung zu leben. Nochmals, darüber sind sie nicht glücklich. Sie betrachten das nicht als gerecht, aber sie sehen das als einzigen pragmatischen Ausweg aus dem Konflikt. Das genügt.

Wenn ich palästinensische Kollegen und Freunde treffe, haben wir eine Übereinkunft: Wir diskutieren nicht über die Vergangenheit. Wir reden nie darüber, wer wann welche Probleme herbeigeführt hat und wer schuld daran ist. Dafür reden wir über die Gegenwart und die Zukunft: Was kann jetzt getan werden? Das ist ein großer Unterschied zur europäischen Haltung, immer nach den Guten und den Bösen Ausschau zu halten. Wir pragmatischen Israelis und Palästinenser haben die Haltung eines Spitalsarztes. Wenn Patienten nach einem Autounfall in die Intensivstation gebracht werden, fragt der Doktor auch nicht danach, wer den Unfall verursacht hat. Das ist in diesem Moment nicht relevant. Die Frage ist, wie der Blutverlust gestoppt werden kann. Wir haben damit wirkliche Fortschritte erzielen können.

Service

Amos Oz, "Plötzlich tief im Wald", Suhrkamp Verlag

Amos Oz, "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis", Suhrkamp Verlag

Amos Oz, "Wie man Fanatiker kuriert", Tübinger Poetik-Dozentur

Amos Oz, "Das Schweigen des Himmels", Jüdischer Verlag

Amos Oz, "Eine Frau erkennen", Suhrkamp Verlag