Das Theaterschiff legt an

80 Jahre "Show Boat"

Jerome Kern, Komponist von Schlagern wie "Smoke Gets In Your Eyes", ist auch der Schöpfer des Musicals "Show Boat". Sein Werk markiert den Beginn des US-amerikanischen Unterhaltungstheaters überhaupt. Diese neue Epoche begann am 27. Dezember 1927.

Zur Mitte der "Roaring Twenties" war die Zeit reif, den Broadway aus der Umklammerung "der leichtgewichtigen Musical Comedy und der übergewichtigen Operette" (Stanley Green) zu befreien. Dem Komponisten Jerome Kern, New Yorker von Geburt mit europäischer Ausbildung und Theatererfahrung, gelang dieser Befreiungsschlag, der das amerikanische Unterhaltungstheater erst erschuf.

Edna Ferbers Roman "Show Boat" (1926) über das Leben auf einem Theaterschiff (wen kümmert's, dass die Autorin den Mississippi nie mit eigenen Augen gesehen hatte?) schien ihm die rechte Vorlage, der junge Oscar Hammerstein II. der passende Librettist, und mit Florenz Ziegfeld (ausgerechnet dem erfolgreichen Hersteller von fetzigen Fließband-Revuen, den "Ziegfeld Follies") wurde auch ein waghalsiger Produzent gefunden.

Wirkliche Menschen

Worin bestanden die Epoche machenden Neuerungen, die am Abend des 27. Dezember 1927 im New Yorker Ziegfeld Theatre einen Sturm der Begeisterung entfachten und Jubelkritiken samt stolzen 571 Folgevorstellungen nach sich zogen? Man sah eine durch und durch romantische, aber dennoch glaubhafte, uramerikanische "wirkliche Geschichte über wirkliche Leute" (Wilfrid Sheed), die ein halbes Jahrhundert umspannte. "Dreidimensionale" Charaktere hatten mit Ehekrisen oder Alkoholproblemen zu kämpfen, und selbst Tabuthemen wie das elende Leben der schwarzen Arbeiter am Mississippi oder die illegale Mischehe zwischen Schwarz und Weiß wurden nicht gescheut. (Noch bei der Produktion im Lincoln Center 1966, auf dem Höhepunkt der Rassenkrise, sorgte das Thema für heftige Kontroversen.)

Ol' Man River
Musikalische Innovationen lassen sich - bei höchster Qualität des Gebotenen - weniger deutlich ausmachen (weshalb Wilfrid Sheed das Werk provokant "Den Anfang von Nichts, aber die Summe von Allem" nannte): Immer noch kommen Show Girls in knalligen Song-and-Dance-Nummern zum Zug, und die gute, alte Operette grüßt in Stücken wie "Make Believe" oder "Why Do I love You". Aber auch authentischer Jazz erhebt seine Stimme ("Can't Help Lovin' That Man of Mine"), und mit "Ol' Man River" gelang Kern/Hammerstein einer der größten Volksschlager aller Zeiten.

Der geborene Wiener Franz Allers (übrigens Uraufführungsdirigent von "My Fair Lady") leitete die legendäre Studioaufnahme von "Show Boat" (1962) und auch die deutsche Erstaufführung des Werkes. Seiner Meinung nach war "'Show Boat' ein Glücksfall der ganzen Gattung, weil es das erste der großen Musicals ist, die sich wichtige literarische Werke zum Stoff gewählt haben". Und Allers scheute nicht große Vergleiche, etwa "natürlich in der entsprechenden Relation der geistigen Werte, mit den 'Meistersingern'", oder mit Beethovens Opus Magnum: "Genau wie im Gefangenenchor des 'Fidelio', so ist in dem 'Show Boat'-Song 'Ol' Man River' das Unrecht abgezeichnet . Ich möchte nie Beethoven mit Jerome Kern oder die großen Meister der deutschen Musikliteratur mit den im Verhältnis natürlich kleineren amerikanischen Theaterkompositionen vergleichen, was musikalischen Tiefgang betrifft. Aber die Ähnlichkeit der humanitären Zielsetzung muss ins Auge springen; und nebenbei, dass sie melodiöse Genies waren, steht für mich außer Frage."

Show Boat an der Donau
Auch Wien hat Anteil an der Aufführungsgeschichte des Meisterwerks: Marcel Prawys vorletzter Musical-Produktion an der Volksoper (1971) war allerdings, trotz vortrefflicher Besetzung (u. a. mit Fred Liewehr, Marilyn Zschau, Olive Moorefield und William Warfield), kein bleibender Erfolg beschieden.

Mit nicht weniger als drei Verfilmungen (1929, 1936 und 1951) und allein vier Neuproduktionen am Broadway sowie zahllosen Inszenierungen weltweit, gilt "Show Boat" als eines der wirkungskräftigen Musicals aller Zeiten.

Es mutet grotesk an, dass nur wenige Wochen vor der Uraufführung ein anderes, ebenfalls von Oscar Hammerstein getexttes, Musical die Rassenproblematik unter gegenteiligen Vorzeichen darstellte. Während sich in "Show Boat" die Mulattin Julie Laverne als Weiße ausgibt und Karriere und Liebe opfern muss, wird in "Golden Dawn" eine als Baby geraubte Weiße bei einem afrikanischen Stamm als Göttin verehrt. Das Bemerkenswerteste an diesem Stück war, dass ausgerechnet Emmerich Kálmán die Musik dazu geschrieben hat!

Biopic im Netz
Wenn Sie das Anlegen von "Show Boat" auf Ö1 nicht erwarten können, klinken Sie sich einfach ins weltweite Netz ein: Die melodramatische und mit Künstlern wie Lena Horne, Frank Sinatra und Judy Garland hochkarätig besetzte Filmbiografie Kerns aus dem Jahre 1946, "Till the Clouds Roll By", deren erste Viertelstunde aus einem großen Querschnitt durch "Show Boat" besteht, ist im Internet zu besichtigen.

Hör-Tipp
Apropos Musical, Mittwoch, 26. Dezember 2007, 15:30 Uhr

Link
Internet Archive - Till the Clouds Roll By