Der Simpl von 1912 bis heute

Zum Lachen in den Keller

Als Egon Dorn 1912 im Souterrain des Hauses Wollzeile Nummer 34 in der Wiener Innenstadt das "Bierkabarett Simplicissimus" eröffnet, spricht vieles für eine Modeerscheinung. Heute, 95 Jahre später, ist der Simpl eine Wiener Institution.

In der Kulturgeschichte einer jeden europäischen Stadt finden sich lang- und kurzlebige Oberflächenphänomene, Moden, Trends, Design. Dann überdauern scheinbar unzerstörbare Monolithe wie Opern- und Theaterhäuser oder Museen die Zeitläufe. Und schließlich erweist sich gerade im 20. Jahrhundert die Geschichte der unzähligen, oft kurzlebigen und zumeist in Vergessenheit geratenen Klein- und Mittelbühnen als das fruchtbarste Material, um gesellschaftliche Veränderungen im wahrsten Sinne des Wortes darzustellen.

Als der aus Lübeck stammende Schauspieler Egon Dorn 1912 im Souterrain des Hauses Wollzeile Nummer 34 in der Wiener Innenstadt das "Bierkabarett Simplicissimus" eröffnet, spricht vieles für eine Modeerscheinung: essen, trinken und gepflegte Unterhaltung an einem Ort, das funktioniert schon in Deutschland recht gut. Getragen wird die Veranstaltung von einem Conferencier, der hauptsächlich humorvolle oder mäßig zeitkritische Lieder an- und abmoderiert.

Blütezeit mit Farkas

Zuerst spricht nichts dafür, dass ausgerechnet dem Simpl - so nennt man das Lokal schon bald in Wien - ein längeres Leben beschieden sein sollte als anderen Kleinbühnen der Stadt. Man lebt von den Einnahmen. Mit dem Ersten Weltkrieg, dem Zerfall der Monarchie und den Lebensbedingungen in der Ersten Republik kommt den Theatern das Publikum abhanden. Dem Simpl geht es da nicht besser, aber es verfügt über Darsteller, die in Wien einzigartig sind und die die Weiterführung des Spielbetriebs garantieren. Der wichtigste in jener Zeit ist Fritz Grünbaum.

Gemeinsam mit Karl Farkas macht Fritz Grünbaum in der Zwischenkriegszeit die Doppelconference, eine Spielart jüdischer Dialektik, zum Markenzeichen des Simpl. Das zweite Erfolgsrezept des Hauses ist das Engagement von Schauspielern größerer Bühnen, sodass sich im Simpl im Gegensatz zu anderen Kabarettbühnen ein Ensemblegeist entwickelt. 1938 ist es damit allerdings zu Ende. Die Protagonisten flüchten ins Exil - Karl Farkas etwa, Armin Berg und Hugo Wiener. Oder sie werden im KZ ermordet wie Fritz Grünbaum und Fritz Löhner-Beda.

Parodie und politische Schärfe

Farkas, der nach 1945 heimkehrt, reagiert auf die neuen Verhältnisse, indem er die alten Zeiten heraufbeschwört. Er schließt an die Programme vor 1938 an. Karl Farkas und sein Team bieten in erster Linie Unterhaltung - einerseits auf der sprachspielerischen Ebene, die typisch für das Kabarett der 1920er und 1930er Jahre war, andererseits durch eine bis weit in die 1970er Jahre akzeptierte antimoderne Haltung.

Mit Karl Farkas' Tod 1971 scheint auch der Simpl vor dem Aus zu stehen. 1973 kauft Martin Flossmann das rundum erneuerungsbedürftige Etablissement und besteht mit einer Mischung aus Parodie und politischer Schärfe gegen die damals kaum schlagbare Unterhaltungsmaschine Fernsehen - nicht zuletzt durch regelmäßige Präsenz in ebendiesem Medium. Flossmanns Nachfolger ab 1993, Michael Niavarani, hat hingegen massiv mit der Comedyschwemme des deutschen Privatfernsehens zu kämpfen und begegnet der Konkurrenz durch affirmatives Andocken an den Trend bei gleichzeitiger Besinnung auf die Simpl-Tradition: die Doppelconference etwa.

Hör-Tipps
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Contra, Sonntag, 23. Dezember 2007, 22:05 Uhr

Buch-Tipp
Julia Sobieszek, "Zum Lachen in den Keller. Der Simpl von 1912 bis heute", Amalthea Verlag