Der Traum vom guten Leben - Teil 3
Trautes Heim, Glück allein
Die sozialen Utopien des 20. Jahrhunderts wurden vom "Traum des guten Lebens" geleitet. Eine davon war Siemensstadt: jener kleinen Welt, die der Elektrokonzern in den 20er und 30er Jahren das 20. Jahrhunderts für seine Mitarbeiter aufgebaut hat.
8. April 2017, 21:58
Siemensstadt in Berlin unterschied sich bewusst von den Programmen der Weimarer Republik und ab 1933 von denen der Nationalsozialisten. Siemens wollte mit Hilfe der vom Werk produzierten modernen Haushaltsgeräte einen utopischen Raum entwerfen, in dem Glück erlebt werden kann.
Der Staubsauger als Symbol für das gute Leben
Die Corporate Identity von Siemens war das Bild vom modernen Leben. Diese Utopie wurde einerseits symbolisch entworfen, und zwar durch die Produkte wie Staubsauger und Bügeleisen. Andererseits sollte das moderne Leben in Siemensstadt auch gelebt werden.
Dafür wurde ein ganzes Maßnahmenpaket erstellt. TBC-Fürsorgestellen, Ferienkinderheime, Sozialarbeiterinnen, ein Pensionskassensystem - und es wurden Wohnungen errichtet. Die Architektur dieser Wohnungen sollte den Bewohnern helfen, die Utopie des häuslichen modernen Lebens zu realisieren. Die Historikerin Carola Sachse: "Die Wohnungen in Siemensstadt wurden für die Kleinfamilie gebaut: Eltern und zwei Kinder. Die Kernfamilie sollte klar abgegrenzt leben."
Familie und Ideologie
Die Idee von Siemensstadt war, die Arbeiter und Angestellten an das Unternehmen zu binden und damit eine Produktionssteigerung zu garantieren. Den Reformbauten der sozialistischen Arbeiterbewegung lag hingegen das Ideal eines neuen Menschen zugrunde. In der Zeitschrift "Die Sozialistische Erziehung" vom Juli/August 1926, schreibt der Pädagoge Siegfried Kawerau:
Der junge Mensch soll zur Selbständigkeit im Denken und Urteilen geführt werden, so dass er einer seiner selbst sicherer schöpferischer Gestalter und Meister wird. Von da aus allein kann er zu dem Verpflichtungsgefühl kommen, in selbständigem Urteilen und Handeln zur näheren Umgebung, zu Volk, Staat und Menschheit Stellung zu nehmen.
Widersprüchliches Frauenbild
Das Frauenbild der sozialistischen Bewegung und damit die Definition von Familie und Privatem waren jedoch widersprüchlich. Einerseits bezog man die Frau in die politische und gewerkschaftliche Arbeit ein, und propagierte die Sport treibende, gesundheitsbewusste Frau, die einen Bubikopf trug und bequeme Kleider bevorzugte. Andererseits riet die Zeitschrift "Die Unzufriedene" am 28. Juni 1930:
Sauberkeit, Häuslichkeit und freundliches Benehmen halten den Mann vom Wirtshaus ab. Er bindet sich mehr an die Familie und wird zum guten Kamerad der Frau.
Die ideale Frau des Nationalsozialismus hingegen zeichnete sich durch "Treue, Pflichterfüllung und Opferbereitschaft im Dienste der Volksgemeinschaft" aus. Ihre oberste Bestimmung war es, Mutter zu sein.
Siemens hingegen propagierte das Bild der Kleinfamilie als Rückzugsort und setzte sich in diesem Punkt klar von den politischen Machthabern der 1930er und 1940er Jahre ab. Das Familienmodell, das in Siemensstadt gepflegt wurde, konnte sich jedoch erst später durchsetzen.
Das Ideal vom trautem Heim
Die Idylle der Kleinfamilie: das Bild der emsigen Hausfrau, die ihr Häuschen im Grünen in Schwung hält, den beiden Kindern kunstvolle Pullover strickt und den Ehemann Abends mit exotischen Rezepten überrascht, dieses Ideal vom trauten Heim wurde erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zum politischen Programm erhoben.
Die Verlockungen der sich neu etablierenden Konsumgesellschaft lieferten den Aufputz für das neue, private Lebensgefühl. Der Historiker Arne Andersen aus Freiburg meint dazu: "Der Traum vom guten Leben entwickelte sich aus dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus. Die politische Utopie des Nationalsozialismus war obsolet geworden. Die Menschen mussten sich neue Ziele suchen. Und nachdem das Überleben erstmals gesichert war, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf das individuelle Glück und das sogenannte gute Leben."
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