Dritter Teil der Melrose-Trilogie

Schlechte Neuigkeiten

Edward St. Aubyn machte nie ein Hehl daraus, dass er in den Melrose-Büchern ein Zeugnis seines eigenen Lebens ablegt. Er schreibt sich die Grausamkeiten seines Vaters von der Seele und betrachtet das Schreiben daher als Befreiungsversuch.

David Melrose ist tot. Für seinen 22-jährigen Sohn Patrick ist das keine Erleichterung. "Der Tod war immer eine Versuchung - jetzt aber schien er wie eine Versuchung zu gehorchen", lässt Edward St. Aubyn sein Alter Ego sinnieren. Einem Vater zu gehorchen, der versucht hatte, ihn zu vernichten. Er hatte den Fünfjährigen vergewaltigt und feierte - wann immer es sich einrichten ließ - perfide Erniedrigungsorgien, deren Opfer nicht nur das Kind, sondern auch die alkohol- und pillenabhängige Mutter wurde.

Geschildert hat der heute 47-jährige Edward St. Aubyn das in seinem Debütroman "Schöne Verhältnisse", Teil eins seiner Melrose-Trilogie. Das Setting: die mondäne Welt des englischen Hochadels. Die vorherrschende Stimmungslage: Grausamkeit, Selbsthass und Langeweile. St. Aubyn machte nie ein Hehl daraus, dass er in den Melrose-Büchern ein Zeugnis seines eigenen Lebens ablegt.

Das Gift der Eltern

"Schöne Verhältnisse" kreist um die unausgesprochene Frage, ob ein derart gebrandmarktes Kind wie Patrick Melrose die schweren Demütigungen, die ihm zugefügt wurden, jemals überwinden wird. Die von Edward St. Aubyn im Folgenden geschriebenen Romane "Bad News" – jetzt auf Deutsch erschienen unter dem Titel "Schlechte Neuigkeiten" -, "Some Hope" und der viel später veröffentlichte, letztes Jahr für den Man Booker Preis nominierte "Mother's Milk" versuchen eine Antwort darauf zu geben, denn das ist, wie er sagt, die Frage seines Lebens.

"Meine Arbeit ist im Grunde genommen eine Erforschung der Frage, ob es eine Möglichkeit gibt, diesem Gift, das von den Eltern an die Kinder weitergereicht wird, zu entkommen. Der erste Band meiner Trilogie 'Schöne Verhältnisse' beschreibt, wie dieses Gift verabreicht wird, wenn Sie so wollen. Die beiden nächsten Bände zeigen, wie es wirkt", so St. Aubyn im Gespräch.

Junkie im Maßanzug

Das väterliche Gift wirkt perfekt. Es hat Körper und Geist des Sohnes Patrick vollkommen okkupiert. Er rettet sich in die Abhängigkeit von einem Gegengift und ist mit 22 ein Junkie. Ein Junkie im Maßanzug mit 100.000 Pfund Jahresrente, setzt er den väterlichen Vernichtungsbefehl gehorsam in die Tat um. Während seine Mutter für ein Kinderhilfswerk in Afrika ist, fliegt er mit der Concorde nach New York, um die Asche seines Vaters nach England zu überführen. Ein zweitägiger Trip, der ihn allein für Koks, Heroin und Pillen 10.000 Pfund kostet.

"Nur hinter einem Wasserfall schonungsloser und angenehmer Empfindungen", die die Drogen ihm ermöglichten, "konnte er sich vor den Bluthunden seines Bewusstseins verbergen", konstatiert Patrick. "Heroin war das Einzige, das wirklich funktionierte, das Einzige, das ihn davor bewahrte, in einem Hamsterrad unbeantwortbarer Fragen herumzuhetzen." Was hält ihn davon ab, sich gleich umzubringen? "Der Wunsch zu erfahren, was als Nächstes passieren würde", schreibt St. Aubyn. Dieser Selbstdistanzierungsmanie, des Zwangs sich in der dritten Person zu erleben, verdanken wir dieses wundervolle und grausame Buch der Selbsterforschung "Schlechte Neuigkeiten" von Edward St Aubyn.

Pause von etwas Unerträglichem

"Schlechte Neuigkeiten" liest sich in wenigen Stunden, der Schrecken der seelischen Verwüstung Patrick Melroses wirkt fesselnd. Anders als in Irvine Welshs Roman "Trainspotting" zeigt St. Aubyn die Exzesse seines Helden nicht als Extremerlebnis schräger, aber irgendwie burlesker Halluzinationen. Heroin bietet Patrick Melrose eine kurze Pause von etwas Unerträglichem. Es ermöglicht ihm, die vom Vater gedemütigten und besudelten Teile seiner selbst abzuspalten. Lässt die Wirkung nach, kommt der Selbstekel allerdings nur umso beherrschender zurück. Und mit ihnen die "Stimmbakterien", wie St. Aubyn sie nennt. Der Geist "plappert vor sich hin. Immer im Kreis herum ... so müde", heißt es in "Schlechte Neuigkeiten".

"Die Geister meiner Kindheit treiben ihr Unwesen nur noch in meinen Büchern", sagte St. Aubyn einer britischen Tageszeitung. Aber er, der ebenso wie seine Hauptfigur Patrick jahrelang ein Junkie war, weiß auch, dass die Austreibung der Geister eine lebenslängliche Herausforderung bleiben wird.

Aus der Perspektive des Süchtigen

Anders als "Schöne Verhältnisse" ist der Folgeroman "Schlechte Neuigkeiten" eine eindimensionale Geschichte. Sie ist ausschließlich aus der Perspektive des Süchtigen Patrick erzählt, der vollkommen gefangen ist in seiner Abhängigkeit. "Das Problem war, dass er den Stoff so wollte, wie man aus einem Rollstuhl heraus will, wenn das Zimmer brennt", heißt es.

Auf der Such nach der dramaturgischen Wahrheit hatte der Autor in seinem Debütroman über die Kindheit Patricks noch abwechselnd die Perspektive des Schinders und der Opfer eingenommen, der Blick in "Schlechte Neuigkeiten" ist verengt auf Patrick, der wiederum auch nur an das eine denkt: die nächste Dröhnung. Das mag bei einem Roman über einen Junkie zwangsläufig so sein, trotzdem wird der Leser der "Schlechten Neuigkeiten" diese nur richtig schätzen können, wenn er auch die Vorgeschichte dazu kennt.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Edward St. Aubyn, "Schlechte Neuigkeiten", aus dem Englischen übersetzt von Frank Wegner, Dumont Verlag