Im Gespräch: Herfried Münkler

Aug um Auge - und die Welt wird blind

Mahatma Gandhi formulierte die Strategie des gewaltlosen Widerstands. Herfried Münkler jedoch sieht heute, wo Zivilisten zum eigentlichen Ziel des Gegners werden, in Ghandis Strategie nur eine andere Form des Selbstmordes.

Wie Kriege entstehen

Gewaltfreier Widerstand war in Zeiten, in denen Kriege noch den Charakter ritueller Konfrontationen trugen, effizient. Aber heute, wo Zivilisten zum eigentlichen Ziel des Gegners werden, erscheint Ghandis Strategie der Gewaltlosigkeit als eine andere Form des Selbstmordes. Herfried Münkler von der Humboldt-Universität Berlin und Autor des Standardwerks "Die neuen Kriege" spricht über die Chancen der Gewaltlosigkeit im 21. Jahrhundert, erklärt die Wandlungen der Kriege und wagt einen Ausblick auf die Kriegsführung in unserem Jahrhundert. Michael Kerbler hat mit dem Politologen gesprochen.

Michael Kerbler: Am 30. Jänner 1948 hat ein fanatisierter Hindu-Nationalist Mahatma Ghandi ermordet. Ghandi war - wie wahrscheinlich keine andere Persönlichkeit im 20. Jahrhundert - eine Führungsfigur für gewaltfreien Widerstand, und er hat ja auch mit seiner Strategie Großbritannien letztlich dazu gebracht, Indien zu verlassen. Hätte ein Mahatma Ghandi heute, im Zeitalter der asymmetrischen Kriege, mit seiner Strategie der Gewaltlosigkeit eine Chance?
Herfried Münkler: Ich glaube das nicht. Aus einer Reihe von Gründen. Zunächst einmal, was die spezifische Situation Großbritanniens in den späten 1940er Jahren anbetrifft. Erstens handelt es sich hier um ein demokratisches Regime, das auf Gewalt sensibel reagiert, und das vor allem nur sehr begrenzte Fähigkeiten hat, brutale, repressive Gewaltausübung durch eigenes Militär und die Polizei zu ertragen. Wäre der Gegenspieler Ghandis - sagen wir mal - Stalin gewesen, dann hätte das so nie funktionieren können.

Der zweite Punkt ist auch noch obendrein, das demokratische Großbritannien ist durch den fünf Jahre währenden Krieg in Europa und obendrein auch noch im Pazifik, erschöpft, ermattet, es zieht sich aus vielen Bereichen, die es entlang seiner Zentralroute von London über Gibraltar, Suez-Kanal, Aden, Indien kontrolliert hat, also dem Nervenstrang des Empire, zurück, wo auch die Ermattung der Briten eine Rolle spielt. Es gibt ja bis heute in England Diskussionen, "warum haben wir so leicht das Empire hergegeben, verschenkt für nichts, warum haben wir es nicht verteidigt?", und man schämt sich dafür, und das ist fast ein Trauma für bestimmte Politiker und Intellektuelle.

Gandhi als Mythos

Einen weiteren Punkt würde ich aber auch noch einmal stark machen wollen. Für den Mythos Ghandi, wenn ich das mal so frech sagen darf, war es fast ein Glück, dass er zu diesem Zeitpunkt ermordet worden ist. Denn auf diese Weise blieb sozusagen seine Strategie der Gewaltlosigkeit sauber. Er war nicht mehr involviert in die anschließenden sehr gewalttätigen Auseinandersetzungen bei der Separierung in Indien und Pakistan, was ja beides zunächst Britisch-Indien war. Ghandi hat gewissermaßen die Hegel'sche "List der Vernunft" auf seiner Seite gehabt, dass er eben von der Bühne auch noch durch Gewalt gegen ihn heruntergenommen worden ist zu einem Zeitpunkt, bevor er selber politisch in Gewaltprozesse involviert war.

Den "guten" Krieg gibt es nur in politischen Räumen

Sie meinen also, dass solche Persönlichkeiten heute - ich sag jetzt ein Beispiel - in Darfour keine Chance hätten? Die Reitermilizen würden kalt lächelnd so einen Marsch der Gewaltlosigkeit in Blut ertränken? Afghanistan, ein gewaltfreier Anführer würde nicht weit kommen bei den Taliban? Hat Gewaltlosigkeit keine Chance im 21. Jahrhundert?
Ich würde schon sagen, das hängt davon ab, mit wem man es zu tun hat. Durch demonstrative Gewaltlosigkeit und das Erleiden von Gewalt kann man schon Regime zum Zusammenbruch bringen. In unserer europäische Literatur ist das das Beispiel von Antigone in der Konfrontation mit Kreon. Diese relativ schwache Frau, die, indem sie die Gewalt an sich vollziehen lässt, die politischen Verhältnisse in Theben dreht und den mächtigen Kreon inmitten seiner Leibwache erledigt. Aber die Voraussetzung dafür ist natürlich eine sensible und kritische Öffentlichkeit. Der permanente Fluss der Informationen. Man weiß immer alles. Wenn es dem Kreon gelungen wäre, die Frau einfach verschwinden zu lassen, sie ist plötzlich einfach nur weg, dann wäre dieser Mechanismus der Selbstdestruktion ja gar nicht in Gang gekommen. Und so ist im Falle Ghandis natürlich auch in seiner langen Geschichte - Indien, Südafrika, wieder Indien - die Herstellung eines Bildes, einer Wahrnehmung, er ist eine öffentliche Gestalt. Er ist dies auch deshalb, weil er sich in einem politischen Raum bewegt, dem des britischen Empire, der letzten Endes rechtsstaatlich und - jedenfalls was das imperiale Zentrum betrifft - semidemokratisch ist. Die Briten unterliegen da auch noch einem besonderen Selbstzwang, weil sie ja als Demokratie den Krieg gegen das kaiserliche Japan und das nazistische Deutschland geführt haben. Und das kann man sich ja vielleicht auch vorstellen, dass man damit den Amerikanern heute Probleme machen könnte, oder wem auch immer, der in dieser Weise öffentlichem Druck unterliegt.


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Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 31. Jänner 2008, 21:01 Uhr

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Buch-Tipps
Herfried Münkler, "Imperien", Rowohlt Verlag

Herfried Münkler, "Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie", Velbrück Verlag