Neues Buch über Cosima Wagner

Herrin des Hügels

Sie war eine Frau, an der so ziemlich alles außergewöhnlich scheint, wie es im Prolog einer neuen Biografie über Cosima Wagner heißt. Das Buch möchte die Lücke zwischen Wagners Tod und Hitlers Auftreten in Bayreuth erklärbar machen.

"Mit Cosima zog das Unheil in die Familie ein", hatte einst Nike Wagner reichlich abwertend über ihre Urgroßmutter Cosima Wagner geschrieben - über eine Frau, an der so ziemlich alles außergewöhnlich scheint, wie es im Prolog einer neuen Biografie über die "Herrin des Hügels" heißt.

Sie war die uneheliche Tochter des Jahrhundertpianisten Franz Liszt (...). Im Paris der 1840er Jahre erlebte sie unter der Fuchtel liebloser Gouvernanten eine Kindheit ohne Eltern. Cosimas Leben führt später in das Berlin der 1850er Jahre, wo sie ihren ersten Ehemann Hans von Bülow kennen lernte. Bülow war der exzentrische Lieblingsschüler ihres Vaters und später der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Bereits auf der Hochzeitsreise traf sie Bülows Freund: Richard Wagner. Ihre Ehe mit Bülow war ein fürchterlicher Irrtum, wie man rückblickend weiß und endete (...) in einer (...) Tragödie. Nachdem Cosima ihren Hans jahrelang mit Richard betrogen und drei uneheliche Kinder von ihm zur Welt gebracht hatte, trennten sich die Bülows, und Cosima heiratete den zwanzig Jahre älteren Wagner.

Zeremonienmeisterin

So skandalträchtig solche Fakten auf den ersten Blick erscheinen mögen, wären sie keineswegs Grund genug, Cosima Wagner bereits zum wiederholten Male in das Zentrum einer umfangreichen Publikation zu stellen.

Entscheidender ist die Tatsache, wie Cosima nach Wagners Tod aus dem Experiment auf dem Grünen Hügel von Bayreuth ein bis heute florierendes Theaterunternehmen und eine gesellschaftliche Institution gemacht hat. Und mehr noch, wie sie rücksichtslos mit dem Erbe umgegangen ist und aus Wagners durchaus widersprüchlichem Denken eine feste Weltanschauung formen ließ.

Cosima Wagner war Schöpferin und oberste Zeremonienmeisterin des Mythos Bayreuth - und somit auch maßgeblich an der postumen Politisierung von Wagners Werk beteiligt.

Alma-Biograf schrieb Cosima-Buch

"Herrin des Hügels - Das Leben der Cosima Wagner" ist eine neue, im vorigen Jahr beim Siedler-Verlag in München herausgebrachte Biographie betitelt; ihr Autor Oliver Hilmes hat sich schon zuvor einen Namen mit einer Witwen-Biographie gemacht: 2004 hatte er mit großem Erfolg sein Buch "Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel" veröffentlicht.

Was das neue, fast 500 Seiten umfassendes Werk über Cosima Wagner von vorangegangenen Publikationen über die Liszt-Tochter und Wagner-Ehefrau unterscheidet, ist die Auswertung wesentlicher Archivbestände, vor allem des Nationalarchivs der Richard Wagner-Stiftung. Aus diesem Archiv war lange Jahre nur das freigegeben worden, was die Familie Wagner über ihre Vorfahrin veröffentlicht sehen wollte.

Zugang ohne Zensur

Oliver Hilmes hat nun erstmals - ohne Zensur - den umfangreichen Bestand des seit den 1970er Jahren allgemein zugänglichen Archivs genutzt, um eine fundierte Cosima-Biographie fern der zahlreichen Legenden und Verklärungen zu schreiben - und dies ist ihm in gut zu lesender, höchst informativer Weise gelungen. Er zeichnet nicht nur die Stationen eines außergewöhnlichen Lebens nach, sondern er versucht auch die ans Pathologische grenzenden Charakter- und Wesenszüge der Frau zu deuten.

Von den drei Leben der Cosima Wagner ist häufig die Rede - und diese drei Abschnitte sind auch im Buch von Oliver Hilmes deutlich zu erkennen: Auf die trostlose strenge Kinder- und Jugendzeit folgt für Cosima die Ehe mit Hans von Bülow, eine erste Periode, in der man Mitleid mit der jungen Frau empfindet.

Dem Meister untergeordnet

In den Jahren an der Seite Richard Wagners ordnet sie sich ganz dem Meister unter, wünscht als eigene Persönlichkeit zu verschwinden. Bei der Lektüre stellt sich hier bereits eine gewisse Distanz zu Cosima ein, die sich nicht selten in Unbehagen wandelt, wenn das Denken und Handeln der Witwe dargelegt wird - gewiss, ohne sie, die eiskalte Managerin, wären die Bayreuther Festspiele nicht zu dem geworden, was sie heute sind, mit ihrer "Festlegung" der Wünsche des "Meister" hat sie aber nicht selten den eigentlichen Absichten Wagners zuwidergehandelt.

Wäre es nach Wagners Ideal gegangen, wollte er mit den Festspielen ein Gesamtkunstwerk schaffen, das das Volk in seiner ganzen Breite ansprechen sollte, Cosima aber hatte Bayreuth zu einem Treffpunkt des Geldadels gemacht. Und ebenso darf man annehmen, dass Wagner selbst die Bühnenrealisation - vor allem in Bayreuth - stetig weiterentwickelt hätte, während mit Cosima künstlerischer Stillstand herrschte.

Die Vorgeschichte der Hitlerei
Oliver Hilmes liegt es fern, ein vordergründig negatives Bild von Cosima Wagner zu zeichnen, er verurteilt und demontiert sie in keinem Moment, sondern würdigt durchaus ihre Verdienste, in einer Zeit, als es keineswegs selbstverständlich für Frauen war, Führungspositionen einzunehmen. Der Autor gibt immer wieder Denkanstöße - nicht immer aber die Antworten und überlässt so die eigentliche Wertung den Lesern und Leserinnen.

Nur eines wird ganz klar, nämlich dass der Antisemitismus und das Deutschvölkische schon Jahrzehnte vor Adolf Hitler in Bayreuth zu Hause waren - ganz so wie es Oliver Hilmes in einem Interview gesagt hat: "Ich wollte klar machen, dass die Hitlerei nicht mit Hitlers erstem Besuch 1923 vom Himmel auf Bayreuther Boden gefallen ist, sondern dass es eine Vorgeschichte gibt. Ich wollte die Lücke zwischen Wagners Tod und Hitlers Auftreten erklärbar machen: Cosima hat die Weichen in eine Richtung gestellt, dass Hitlers Dampfzug ab 1923 einfach durchfahren konnte."

Hör-Tipp
Apropos Musik, Sonntag, 3. Februar 2008, 15:06 Uhr

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Buch-Tipp
Oliver Hilmes, "Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner", Siedler-Verlag