Von Dvorak bis Liszt

Karneval in der Musik

Klassische Musikstücke, die mit Feiern, Tanzen und dem Karneval zu tun haben, gibt es viele - die Auswahl ist unendlich groß. Eine besondere Sammlung des Genres stellen Brahms' Walzer dar. Sie sind Eduard Hanslick gewidmet.

Dvorak und Berlioz haben Karneval-Ouvertüren geschrieben, letzterer hat sie in eine Oper eingefügt, die im Rom Benvenuto Cellinis spielt, Liszt komponierte einen "Pesters Karneval", der bekannte Hund, der dem Koch ein Ei stahl, kam offenbar in eine Küche der Lagunenstadt, den dieser musikalische Spaß heißt "Carnevale di Venzia".

Den Titel "Londoner Karneval" hat Milhaud seinem Arrangement der "Beggars Opera" gegeben, Schumann einen "Wiener Faschingsschwank" geschrieben, Villa Lobos einen "Kinderkarneval" für Klavier vierhändig und Saint Saens einen "Karneval der Tiere". Ganz zu schweigen von der Tänzen von Brahms, Schubert und erste recht von den Experten dafür wie Waltdteufel, Offenbach, Lanner und die Sträuße.

Widmung an Kritikerpapst

Nur von sechzehn der vielen Walzer sei hier die Rede. Geschrieben hat sie der dreiertaktselige Wiener aus Hamburg, der auch ganze Zyklen von Liebesliedern im Walzertakt zu Papier gebracht hat: Johannes Brahms. Und gewidmet hat er sie dem Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick mit dem er befreundet gewesen ist, von dem er gewusst hat, dass er das Vierhändigspielen liebte und natürlich waren sie wieder für vier Hände an einer Klaviatur gesetzt - ganz wie seine "Ungarischen Tänze" und seine "Liebesliederwalzer".

Zaghaft hat Brahms in einem Brief angefragt, ob Hanslick die Widmung annehmen würde, oder ob er sich lieber etwas Ernsthafteres als Widmungswerk aussuchen wolle. Konträr - Hanslick wünschte sich kein "gehöriges viersätziges Stück" stattdessen, sondern bedankte sich mit der charmantesten, liebenswürdigen Musikkritik zu der er fähig war - und Hanslick war berühmt für seine eleganten Formulierungen:

Der ernste, schweigsame Brahms, der echte Jünger Schumanns, norddeutsch, protestantisch und unweltlich wie dieser, schreibt Walzer? Ein Wort löst uns das Rätsel, es heißt: Wien. Die Kaiserstadt hat Beethoven zwar nicht zum Tanzen, aber doch zum Tänzeschreiben gebracht, Schumann zu einem "Faschingsschwank" verleitet, sie hätte vielleicht Bach selber in eine ländlerische Todsünde verstrickt. Auch die Walzer von Brahms sind eine Frucht seines Wiener Aufenthalts, und wahrlich von süßester Art. Nicht umsonst hat dieser seine Organismus sich Jahr und Tag der leichten, wohligen Luft Österreichs ausgesetzt - seine "Walzer" wissen nachträglich davon zu erzählen.

Fern von Wien müssen ihm doch die Straußschen Walzer und Schuberts Ländler nachgeklungen haben, dazu die hübschen Mädchen, der feurige Wein, die waldgrünen Höhen und was sonst noch. Wer Anteil nimmt an der Entwicklung dieses echten und tiefen, bisher vielleicht einseitigen Talentes, der wird die "Walzer" als glückliches Zeichen einer verjüngten und erfrischten Empfänglichkeit begrüßen, als eine Art Bekehrung zu dem poetischen Hafisglauben Haydns, Mozarts und Schuberts.

Welch reizende, liebenswürdige Klänge! Wirkliche Tanzmusik wird natürlich niemand erwarten: Walzer-Melodie und Rhythmus sind in künstlerisch freier Form behandelt und durch vornehmen Ausdruck gleichsam nobilisiert. Trotzdem stört darin keinerlei künstelnde Affektation, kein raffiniertes, den Totaleindruck überqualmendes Detail - überall herrscht eine schlichte Unbefangenheit, wie wir sie in diesem Grade kaum selbst erwartet hätten. Die Walzer, sechzehn an der Zahl, wollen in keiner Weise großtun, sie sind durchwegs kurz und haben weder Einleitung noch Finale.

Der Charakter der einzelnen Tänze nähert sich bald dem schwunghaften Wiener Walzer, häufiger dem behäbig wiegenden Ländler, mitunter tönt aus der Ferne ein Anklang an Schubert oder Schumann. Gegen Ende des Heftes klingt es wie Sporengeklirr, erst leise und wie probierend, dann immer entschiedener und feuriger - wir sind, ohne Frage, auf ungarischem Boden. Im vorletzten Walzer tritt dies magyarische Temperament mit brausender Energie auf. Ohne Zweifel hätte dies Stück den effektvollsten Abschluss gebildet, allein es liegt ganz in dem Wesen Brahms', den feineren und tieferen Eindruck dem rauschenden vorzuziehen. Er schließt, zum österreichischen Ländlertone zurückkehrend, mit einem kurzen Stücke von bezauberndem Liebreiz: ein anmutig wiegender Gesang über einer ausdrucksvollen Mittelstimme, welche im zweiten Teile unverändert als Oberstimme erscheint, während dazu die frühere Hauptmelodie nun die Mittelstimme bildet. Das Ganze in seiner durchsichtigen Klarheit zählt zu jenen echten Kunststücken, die keinem auffallen und jedermann entzücken.

Hör-Tipp
Musikgalerie, Montag, 4. Februar 2008, 10:05 Uhr