"Wenn ich so zurückdenke"

Ein akkurater Herr

Edwin Hartl, Literat, Kritiker und streitbarer Publizist, war einerseits einer ironischen Distanz zu den Katastrophen und Fährnissen des 20. Jahrhunderts verpflichtet, anderseits dem Sprachverständnis seines künstlerischen Lebensmenschen Karl Kraus.

Als Edwin Hartl vor zehn Jahren im Alter von 92 Jahren starb, hinterließ er - so komisch er's auch gefunden und wohl kaum eines Kommentars für wert befunden hätte - eine Lücke. Gewiss keine große, und vielleicht würde er, wenn doch etwas, dann spitz angemerkt haben, dass angesichts der Lückenhaftigkeit der hiesigen Kulturpublizistik ein Lückerl mehr oder weniger doch gar nicht bemerkenswert wäre; aber da hätte der alte Herr eben einmal Unrecht.

Was er gar nicht gern hatte.

Ein Einzelgänger

Edwin Hartl, Vorkriegsjahrgang 1906 aus der beamtenbürgerlichen Wiener Josefstadt, trieb die Schriftstellerei und die Kultur-, vor allem aber Literaturkritik neben seiner Beamtenlaufbahn beim Magistrat der Stadt Wien. Und er trieb sie immerhin so weit, dass ihm dafür 1980 der Staatspreis für Kulturpublizistik verliehen wurde.

Edwin Hartl war ein Einzelgänger, er war's von Kindesbeinen an, und er blieb es in den genossen- und kameradschaftsseligen Zeitläufen, die er zu durchmessen hatte, erst recht. Gerade deswegen focht er mit Furor und Witz literarisch-publizistische Duelle aus, zuweilen geradezu Simultankämpfe (in denen er, als gewiefter Schachspieler, einige Übung hatte).

Verfechter einer geistigen Position

Edwin Hartl hatte - noch in der kleinsten Buchrezension, in der bescheidensten Randglosse - nicht Meinungen, sondern Haltung; er verfocht keine Ideologien, sondern eine geistige Position, und er ließ sich durchaus einen "Krausianer" nennen, wenn damit einerseits die Aversion gegen Meinungsgeschwätz und anderseits die Manie gemeint war, Dinge, Menschen, vor allem aber die Sprache beim Wort zu nehmen (und damit meistens auch schon beim Krawattl zu haben).

Kraus war ja wirklich die bedeutendste literarisch-moralische Erscheinung in seinem Leben, und wer Hartl - in späten Jahren vom Alter gebeugt, aber unbeugsam in seiner Argumentation - in seinem verbalen Furor wider die Schlamperei und alle widerrechtliche Aneignung und Ideologisierung erlebt hat, wird zugeben, dass er's seinen Widersachern gebührend - nämlich: solchem Spiritus Rector gebührend - schwer machte.

Er vertrat seine Positionen beharrlich. Und er war - jeglichen Nazitums unverdächtig - gleich 1945 energischer Vorkämpfer einer dichterischen Rehabilitierung des unglückseligen Josef Weinheber.

Die "gute alte Zeit"

Er hat ironische Distanz gehalten gegenüber all den Zeiten, die ihn so gerne bewegt hätten. Und als er sie dann, viel später, vor seinem scharfen Auge Revue passieren ließ: Siehe, eine "gute alte Zeit" war nicht dabei. Dementsprechend hat er seinen Erinnerungen - die er mit 85 niederschrieb - den Untertitel "Hintergedanken an die gute alte Zeit" verpasst. Dass er sich auch und zu seinem und seiner Leser Vergnügen als akribischer Sprachglossist betätigte, war bei einem Mann seiner literarischen Herkunft, seines Formats und seiner Sprachempfindlichkeit nicht überraschend.

Nicht weiter überraschend auch, dass er das, was er "schurnalistisch" nannte (und auch so schrieb), nicht etwa besserwisserisch aufzuspießen oder womöglich gar sprachpolizeilich dingfest zu machen trachtete; er suchte keine Fehler, sondern sie meldeten sich bei ihm zur satirischen Behandlung. Und nur den, der Edwin Hartl nicht kannte, mochte es ab und zu überraschen, dass es auch in der Disziplin des I-Tüpferl-Reitens Herrenreiter gibt.

Hör-Tipp
Patina, Sonntag, 3., 10., 17. und 24. Februar 2008, 9:05 Uhr