Joannot Martorells Ritterroman

Tirant lo Blanc

Miguel de Cervantes lässt in seinem "Don Quijote de la Mancha" einen Pfarrherrn ausrufen: Joannot Martorells Roman vom weißen Ritter "Tirant lo Blanc" sei das "beste Buch der Welt"! Dieses "beste Buch" ist jetzt neu ins Deutsche übersetzt worden.

Vor rund 500 Jahren hat der katalanische Edelmann Joannot Martorell seinen Ritter-Roman verfasst. Es war die Zeit, als das oströmische Reich mit seiner Hauptstadt Konstantinopel endgültig unter osmanische Herrschaft kam. Der Alptraum der westlichen christlichen Welt war Wahrheit geworden.

Nicht so bei Martorell. Sein Roman bietet einen fiktionalen Gegenentwurf zur Wirklichkeit. Friedrich, Kaiser von Konstantinopel, herrscht noch, auch wenn er von den Muslimen stark bedrängt wird. Bevor aber Tirant dem Kaiser beisteht, hat er auf den ersten 400 Seiten des Romans viele Abenteuer und Kämpfe bestanden und ist vom König von England zum ausgezeichneten Ritter des Hosenbandordens ernannt worden. Das heißt, Tirant hat etwas erworben, das in jedem Ritterroman oder Epos entscheidend ist: Ehre. Er beherrscht die Tugenden wie Nächstenliebe, Treue Wahrhaftigkeit genauso wie seine Waffen. Und er ist nicht nur Beschützer der Schwachen, Witwen und Waisen, sondern Schirmherr der "heiligen Mutter Kirche", wie es bei Martorell heißt.

In erster Linie ist der Ritter dazu berufen, die heilige Mutter Kirche zu sichern und zu verteidigen, und er darf nicht Böses mit Bösem vergelten, muss vielmehr demütig sein und denen, die ihm Schaden zugefügt haben, freiherzig verzeihen, falls sie ihm in die Hände fallen. Der Ritter ist gehalten, die Kirche zu verteidigen, weil sie sonst verloren wäre und vernichtet würde.

Hilfe dem bedrängten Kaiser

Die Verpflichtung, "die heilige Mutter Kirche zu sichern", lässt Tirant aufbrechen, um den bedrängten christlichen Kaiser von Konstantinopel zu Hilfe zu eilen. Tirant ist auch ein listiger Ritter und so gelingt es ihm immer wieder, die Muslimen, also die Heiden und Ungläubigen, in der Schlacht zu besiegen.

Doch bei Martorell sind diese Heiden ebenfalls "chevaliers", also Ritter, die mit Anstand kämpfen. Billige Propaganda ist Martorell fremd. Und der Ritter soll ja nicht Böses mit Bösem vergelten. Im Gegenteil, Tirant versucht, die unterschiedlichen Kulturen miteinander zu versöhnen, allerdings unter der Herrschaft eines christlichen Kaisers.

Erotisch aufgeladen

Martorells Ritter-Epos ist aber auch ein Liebesroman, denn Tirant verliebt sich unsterblich in Karmesina, die Tochter des Kaisers. Die feinfühligen, klugen, manchmal ironischen und oft äußerst erotisch aufgeladenen Dialoge der beiden Liebenden gehören zum Allerbesten dieses Romans und können es mit dem mittelalterlichen Liebespaar Tristan und Isolde aufnehmen. Als Tirant und Karmesina miteinander verlobt sind und sich heimlich das Eheversprechen geben haben, drängt der Ritter auf die leibliche Erfüllung der Liebe.

Schon viel zu lang, Herrin warte ich darauf, Euch endlich im Hemd oder völlig nackt im Bett zu sehen. Ich will weder Eure Krone noch die Herrschaft, die damit verbunden ist. Gebt mir all meine Rechte, die laut der heiligen Mutter Kirche mir zugestehen.

Man sieht, nicht nur ist die Kirche durch den Ritter ein zu verteidigendes Gut, sondern sie selbst im Bildnis der Gottesmutter wird zur Schutzpatronin der fleischlichen Liebe. So sieht es zumindest Tirant. Und Karmesina wird ihm noch einige Zeit mit klugen Argumenten widerstehen - bis sie sich ihm doch hingibt.

Launige Fortuna

Doch die Macht, die mit einem Schlag alles verändern kann, ist bei Martorell "Fortuna", das launige Schicksal. Ihr hat sich jedermann zu unterwerfen, ohne zu verstehen, weswegen ein gütiger Gott nicht eingreifen will. Gegen Schluss des Romans erliegt Tirant plötzlich einem unbekannten Leiden. Und die Wehklagen der Prinzessin Karmesina betreffen letztlich uns alle.

O Fortuna! Du Ungeheuer mit tausend Gesichtern, die ständig wechseln, ruhelos sich verändern, rastlos wie das Rad, das du rasend drehst! (...) Neidisch auf die Mutigen und rücksichtslos gegen die Schwachen, verschmähst du es nicht, deine Siege auszukosten, und über die hingestreckten Starken zu triumphieren, das ist dir eine Lust.

Wahre Weltliteratur

Joanaot Martorells Roman vom weißen Ritter Tirant lo Blanc ist auch deswegen so gut zu lesen, weil er in einer Zeit geschrieben wurde, die in die Renaissance und in den Humanismus hineinreicht. Diese Menschen sind uns einfach näher als die des Nibelungenliedes oder die der Artus-Romane eines Chrétien de Troyes. Und was diese Menschen individualisiert, sind nicht ihre Gesten und Taten, sondern ihre Sprache: In Rede und Gegenrede, die höfisch gewandt, logisch strukturiert, voll Hoffnung und Sehnsucht und manchmal ganz schön derb ist, erwachen sie zum Leben. Und so haben wir als Leser Teil an dieser, ihrer Welt, einer Welt, in die man eintaucht ohne es eine Seite lang zu bereuen. Genau das soll Weltliteratur leisten.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 3. Februar 2008, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Joannot Martorell, "Der Roman vom weißen Ritter Tirant lo Blanc", aus dem Altkatalanischen übersetzt von Fritz Vogelsang, S. Fischer Verlag