Mehr als körperliche Arbeit
Handwerk
Nach der "Tyrannei der Privatheit” wandte sich Richard Sennett viele Jahre der New Economy und den sich verändernden Arbeitswelten zu. In seiner neuesten Publikation wendet sich Richard Sennett der körperlichen Arbeit, eben dem Handwerk zu.
8. April 2017, 21:58
Richard Sennett übt Cello, jeden Tag. Der rechte Arm des Cellospielers Richard Sennett ist trainiert. Übung und Training sei ganz zentral, meint Sennett, denn übt man nicht täglich, bilden sich die Muskeln zurück und die dem Körper eingeprägten Muster sind nicht mehr so klar, so logisch, so eingeübt.
Eine Reihe von Fallstudien belegt die grundlegende Bedeutung körperlicher Übung für den Erwerb von Fertigkeiten: die Handfertigkeit beim Anschlagen einer Klaviersaite oder bei der Benutzung eines Messers; schriftliche Rezepte zur Anleitung von Neulingen auf dem Gebiet des Kochens. Auf all diesen Gebieten ist die Entwicklung von Fertigkeiten ein anstrengender, aber keineswegs geheimnisvoller Vorgang.
Nicht nur manuelle Fähigkeiten nötig
Der Soziologe Richard Sennett meint mit "Handwerk" explizit nicht nur körperliche Tätigkeiten. Daher ist er mit dem deutschen Buchtitel nicht ganz glücklich. Der englische Begriff "Craftsmanship" inkludiert für Richard Sennett nicht nur manuelle Fertigkeiten, sondern bezeichnet das Zusammenspiel körperlicher und geistiger Fähigkeiten.
"Ich versuche, das Image des Handwerks und des Handwerkers davon zu befreien, rein manuelle Arbeit zu sein", so Sennett im Gespräch mit Rosa Lyon. "Die manuelle Arbeit ist Teil davon. Es gibt gar nicht so einen großen Unterschied zwischen intellektueller und manueller Arbeit, wenn es darum geht, etwas besser zu machen, engagierter zu werden."
Zusammenarbeit zwischen Kopf und Körper
"Ich denke, wir müssen ein neues Kapitel aufschlagen", meint Sennet. "Wir müssen versuchen zu verstehen, was es bedeutet, wenn wir unsere Arbeit besser machen wollen, wenn wir Selbstachtung aus ihr ziehen wollen, egal wie geringgeschätzt diese Tätigkeit sein mag, selbst als Putzfrau", denn auch Putzfrauen können Craftsmen, also Handwerker sein. Warum sollte nicht auch eine Putzfrau daran Interesse haben, ihre Arbeit gut zu machen?
Es wäre unser Snobismus, wenn wir anders dächten, so Richard Sennett. Craftsmanship kann manuelle wie intellektuelle Arbeit sein. In beiden Fällen arbeiten Kopf und Körper zusammen. Das Handwerk sei eine Technik der Lebensführung, der Wunsch, eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen.
Handwerkliches Können mag den Einzelnen mit Stolz auf seine Arbeit erfüllen, doch auch solcher Lohn ist keine einfache Sache. Der "Handwerker” hat es oft mit konkurrierenden objektiven Qualitätsmaßstäben zu tun, und der Wunsch, etwas um seiner selbst willen gut zu machen, kann durch Konkurrenzdruck, Frustration oder Besessenheit Schaden nehmen.
Durch Üben erworbene Fertigkeit
Inspiration oder ein plötzlicher Einfall sei das Gegenstück zur Fertigkeit. Was aber ist eine Fertigkeit? Eine durch Üben erworbene praktische Fähigkeit. Eben im Unterschied zur Inspiration.
Der Zauber der Inspiration liegt zum Teil in der Überzeugung, rohes, ungeschliffenes Talent könne Übung ersetzten. Zur Stützung dieser Überzeugung verweist man oft auf musikalische Wunderkinder - allerdings zu Unrecht.
Trilogie geplant
Der Titel von Richard Sennetts neuem Buch ist leicht misszuverstehen. Vor allem auf Deutsch: Das Wort "Handwerk" wird wohl rascher mit einem Tischler in Verbindung gebracht, als mit Softwareprogrammierern, oder einem Wissenschafter, der seine Bücher wie ein Schriftsteller schreibt, oder einem Soziologen, der täglich Cello übt.
Richard Sennetts neuestes Werk ist der erste Teil einer geplanten Trilogie. Dem Handwerk soll eine Auseinandersetzung mit Ritualen zum Umgang mit Aggression und Glaubenseifer folgen und der "dritte Streich" wird die Fähigkeiten erkunden, die erforderlich sind, um eine dauerhafte Umwelt zu schaffen und darin zu leben.
Es bedarf einer entsprechenden Sozialisation durch Institutionen. Die Beschäftigten müssen lernen, mit blindem Konkurrenzdenken fertig zu werden und mit den obsessiven Momenten des Arbeitsprozesses umzugehen, indem sie diese Momente hinterfragen und mäßigen. Der Drang, gute Arbeit zu leisten, kann den Menschen ein Gefühl von Berufung geben.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Richard Sennett, "Handwerk", Berlin Verlag