Reportagen von Ilija Trojanow

Der entfesselte Globus

Ilija Trojanow war Zeit seines Lebens ein Globetrotter. In Bulgarien geboren, verbrachte er schon seine Kindheit in Italien, Deutschland und Kenia. Die Erinnerungen an Afrika machen einen Großteil der nun vorliegenden Reportage-Sammlung aus.

Peter Zimmermann im Gespräch mit Ilija Trojanow

Wir waren Illegale, auf der Flucht, aber ich spürte ein Gefühl der Verzauberung. Auf dieser Flucht waren wir gewissermaßen nackt. Es ist ein Zustand, bei dem die Welt einen Abdruck auf dem eigenen Körper hinterlässt.

Schon im Alter von sechs Jahren lernt Ilija Trojanow das Fremde intensiv kennen. Seine Rückschau beginnt mit jenem Tag, als er mit seinen Eltern auf der Flucht aus Bulgarien in ein Lager nahe Triest kommt, wo er kein Wort versteht. Seither versuche er sich einen Reim auf das Unverständliche zu machen, schreibt er. Viel Zeit sich an bestimmte Orte und Kulturen zu gewöhnen hat er allerdings kaum. Nach einem kurzen Deutschlandaufenthalt geht es weiter nach Kenia, wo sein Vater einen Job als Ingenieur erhält und der junge Ilija in einem Internat in Nairobi erneut mit völlig neuen Eindrücken zurechtkommen muss.

Weimarer Republik bei fünfzehn Grad. Homo Faber bei zwanzig Grad. Zur ersten Pause bricht die Sonne durch die Wolken. Der Kiosk, geradezu versteckt im hintersten Winkel. Cadbury oder Fudge? Evolution bei fünfundzwanzig Grad. Sur le quai d'Amsterdam bei dreißig Grad.

Helle und dunkle Seiten des schwarzen Kontinents

Die Erinnerungen an Afrika machen einen Großteil der vielschichtigen und sehr unterschiedlichen Texte der Reportage-Sammlung aus. Selten war der Schriftsteller mit einem festen Auftrag unterwegs und nur wenige Aufsätze schrieb er für einen bestimmten Anlass. Ausgewählt hat sie Trojanow nach persönlichem Interesse. Liebevoll betrachtet er etwa einen skurrilen Sprachensammler, einen seltsamen Trompeter mit Tönen, die töten können; oder ganz alltägliche Rituale beim gemeinsamen Hirsebiertrinken.

Viele dieser Beschreibungen von Gemeinschaftlichkeit kommen zu dem Schluss, dass die schlimmste Tragödie eines Afrikaners die Einsamkeit ist. Doch natürlich werden auch noch dunklere Seiten des schwarzen Kontinents präzise durchleuchtet. Ruanda 1994 etwa, als alle paar Kilometer eine Straßenkontrolle dem Reisenden das Blut in den Adern gefrieren lässt. Nicht Polizei, nicht Armee, sondern Halbstarke in zerfetzter, paramilitärischer Kluft mit völlig unklaren Motiven sorgen für Todesangst.

Sie umzingelten das Auto, blickten uns mit blutdurchschossenen Augen an und sagten nichts, verlangten nichts, warteten nur, bis wir eingeschüchtert genug waren, dass sie mit der Genugtuung eines grausamen Lächelns uns durchwinken konnten. Wenige Tage später brach in Ruanda der schlimmste Massenmord unserer Zeit aus.

Beobachtungen in Indien

Ende der 1990er Jahre zog es den Kosmopoliten Trojanow nach Indien. Dort sind es vor allem die sozialen Spannungen der alle Vorstellungen sprengenden Megacity Mumbai, die seinen neugierigen und kritischen Blick auf sich ziehen. Er erzählt von zynischen Slumlords, die Analphabeten Land verkaufen, das ihnen gar nicht gehört; von korrupten Beamten, die die Hand regelmäßig aufhalten, als wären sie legale Vermieter; von stolzen Bewohnern, die für ihre innovativen, improvisierten Bautechniken Lob von renommierten Architekten erhalten; von Kinderarbeit, Ausbeutung, unvorstellbaren Arbeitsbedingungen und vom brutalen Plattwalzen von Slums, wenn sie etwa einem neuen Golfplatz für die Superreichen weichen müssen.

Die Planierraupe rollt vor und zurück, sie pufft schwarze Wolken mit der gemächlichen Selbstverständlichkeit eines Pfeifenrauchers. Die Opfer sitzen im Schatten von Plastikplanen und klagen wie ein tragischer Chor, gelähmt von der unaufhaltsamen Zerstörung.

Die Welt mit Herz und Verstand begreifen

Besonders spannend werden die Reportagen des literarischen Globetrotters, wenn er die Zustände in seinem Herkunftsland Bulgarien seziert. Er stellt eine unheilvolle Allianz der Gestrigen mit den Vorgestrigen, der ehemaligen Staatssicherheitsorgane mit den Nachfahren der Zarenfamilie fest, an der das Land unweigerlich zugrunde geht.

Ilija Trojanow zeigt auch hier, dass er die Welt mit Herz und Verstand begreifen will. Auf sympathisch emphatische Weise erzählt er von Vorgängen, die unter der Oberfläche ablaufen und die man nur erfahren kann, wenn man das Staunen nicht verlernt hat.

Es gibt keine Heimat, die nicht zur Fremde werden könnte, und umgekehrt. Es hat mich immer wieder erstaunt, wie selbstverständlich etwas werden kann, das anfänglich irritierend oder gar inakzeptabel wirkte.

Mehr dazu in oe1.ORF.at
Neues Buch von Ilija Trojanow
Ilija Trojanow im Gespräch

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 8. Februar 2008, 16:30 Uhr

Ex libris, Sonntag, 10. Februar 2008, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
Ilija Trojanow, "Der entfesselte Globus. Reportagen", Carl Hanser Verlag