Wanderschaften und Pilgerfahrten
Die frühe Lust am Reisen
Anders als meist behauptet, war das Mittelalter nicht nur eine finstere Epoche. Nicht zuletzt wird dies durch die große Mobilität bewiesen, die damals üblich war. Vor allem Pilger und Wallfahrer sorgten dafür, dass das Mittelalter in Bewegung war.
8. April 2017, 21:58
Sie zogen aus, um in den Hafenstädten des Mittelmeers Geschäfte zu machen, um in Rom oder im Westen Spaniens die Gräber der Apostel zu besuchen oder in der Mongolei zu missionieren. Sie waren zu diesen Zwecken monate-, oft jahrelang unterwegs. Wenn die Händler, Pilger, Missionare und all die Abenteurer wieder in ihre Heimat zurückkehrten, dann hatten sie unvorstellbare Mühen und Entbehrungen hinter sich.
Weite Reisen damals schon beliebt
Obwohl die Wege schlecht ausgebaut waren, Straßen und gutes Kartenmaterial fehlten, obwohl das Leben der Reisenden durch Hunger, Kälte, Krankheit oder Überfälle dauernd bedroht war, stand die Mobilität des Mittelalters der modernen Reisetätigkeit in keiner Weise nach. Ganz im Gegenteil: Reisen war ein zentrales Element im Leben des mittelalterlichen Menschen, meistens zu Fuß, manchmal zu Pferd.
Attraktiver Jakobsweg
Die Reisenden des Mittelalters, allen voran die Pilger, legten gewaltige Distanzen zurück. Vor allem die Reisen zu den großen Pilgerzielen Rom (dort besuchte man die Gräbern der Apostel Petrus und Paulus), Jerusalem (auf den Spuren des Religionsstifters Jesus von Nazareth) oder auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela (Grab des Apostel Jakobus) führten die Beliebtheitsskala an.
"Eine Pilgerreise nach Santiago dauerte meist ein Jahr und es war ungewiss, ob man überhaupt wieder zurückkommt. Daher hat man vor Antritt der Reise alles geregelt und hat zum Beispiel seinen Besitz der Kirche vermacht", so der Salzburger Historiker Heinz Dopsch.
Exklusive Schiffsreisen
Das heilige Land wiederum stellte ein sehr exklusives Reiseziel dar, denn die teure Schiffsreise von Venedig oder Genua konnten sich nur wenige leisten. Besonders auffällig sind die Parallelen zur modernen Reisetätigkeit: diese Schiffsreisen wurden wie es auch heute der Fall ist gebucht, anstatt mit einem Reisebüro verhandelte man allerdings mit venezianischen Patrizierfamilien.
Die Höhe des Preises ergab sich je nachdem ob man all inclusive buchte, also an Bord auch verköstigt werden wollte, ob man einen Dolmetscher benötigte usw. Im heiligen Land selbst hielt man sich relativ kurz auf, in rund zwei Wochen wurde man von dort ansässigen Franziskanermönchen zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten geführt, eventuell mit einem Abstecher zum Katharinenkloster auf dem Berg Sinai.
Ein besonderes Reiseandenken, weil mit hohem Ansehen zu Hause verbunden, bestand darin, sich in Jerusalem zum Ritter des Heiligen Grabes schlagen zu lassen.
Ziele "sammeln"
Manche mittelalterliche Zeitgenossen schafften es sogar, zu allen drei großen Pilgerzielen zu reisen. "So wie Alpinisten berühmte Berge besteigen, so waren seinerzeit nicht wenige Pilger bestrebt, nach Rom, Santiago und Jerusalem zu reisen", sagt die Salzburger Germanistin Maria Dorninger. Dabei stützte man sich auf Pilgerführer und Reiseliteratur, verfasst von Abenteurern, um ihren Nachahmern die Reise zu erleichtern.
Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 13. Februar 2008, 21:01 Uhr
Buch-Tipp
Norbert Ohler, "Reisen im Mittelalter", Artemis & Winkler