Schreiben in Mexiko

Gewalttätig und grausam

Sehr fein gehen sie nicht miteinander um, die Figuren der mexikanischen Autorinnen und Autoren. Sie schießen, hauen, stechen aufeinander ein, und nicht nur in Krimis. Auch in Liebesgeschichten herrscht Gewalt, getarnt als seelische Grausamkeit.

Vielleicht ist es ein Klischee, dieses "Mexiko ist grausam". Vielleicht spielt uns unser im Gedächtnis gespeichertes, aus Fernsehen, Kino und anderen dubiosen Quellen gewonnenes Mexikobild "Waffenstarrender Pancho Villa mit Gewehr im Anschlag und mehreren Patronengürteln über dem Leib in grausamer, heißer Sonne auf kahlen Felsen Soldaten auflauernd samt Kaktus im Hintergrund" einen Streich. Aber! Da ist die Geschichte der Azteken, die ihren grausamen Göttern Menschen opferten. Da ist die grausame Eroberung durch die Spanier samt anschließendem Völkermord. Da ist Krieg, Ausbeutung, Elend, Rebellion. Erschießung eines aufgezwungenen Kaisers. Meuchelung unliebsamer Priester. Niedermetzelung von Demonstranten. Und jedes dieser Ereignisse hat seine Spur in der Literatur des Landes hinterlassen. Und in den Menschen.

Das Massaker von Tlalteloco

Es heißt, dass der Ausruf ihrer Mutter die mexikanische Autorin Rosario Castellanos Zeit ihres Lebens gequält habe. "Nicht der Junge!" rief sie, als eine Wahrsagerin prophezeite, dass eines ihrer beiden Kinder in der nächsten Zeit sterben würde. Diese Ablehnung hat in allen Geschichten und Figuren der Castellanos eine gewisse Düsternis - und einen Hang zur Gewalt - zurückgelassen. Das erste ihrer auf Deutsch erschienenen Bücher, "Das dunkle Lächeln der Catalina Diaz", beschäftigt sich mit einem der vielen gescheiterten Aufstände gegen die Großgrundbesitzer. Dass sie selbst dieser Kaste entstammte, machte ihr kaum zu schaffen, denn ihre Familie wurde im Zug der Landreform enteignet.

Viel schlimmer jedoch traf sie, die leidenschaftlich für Demokratie und Freiheit eintrat, das "Massaker von Tlalteloco": Zehn Tage vor Beginn der Olympischen Spiele in Mexiko ließ die Regierung eine friedliche Demonstration am Platz der drei Kulturen in Mexiko City niederschießen. Ein Ereignis, das Mexiko bis in die Grundfesten erschütterte und einen unkittbaren Bruch zwischen den Mächtigen und den Intellektuellen Mexikos verursachte. Knapp sechs Jahre später, am 7. August 1974, starb Rosario Castellanos, damals war sie Botschafterin von Mexiko in Israel, an den Folgen eines Stromschlages. Nahestehende sind davon überzeugt, dass sie Selbstmord begangen hatte. Ihre Kollegin Martha Cerda meinte, sie hätte sich schon lange tot gefühlt.

Den Schmerz von der Seele schreiben

Tlalteloco wurde für viele Autoren zum Thema, offen oder versteckt. Elena Poniatowska, die durch diese Untat ihren Bruder verlor, schrieb sich den Schmerz in der 1971 erschienenen Reportage "Die Nacht von Tlalteloco" von der Seele. Für Carlos Monsiváis oder José Gorostiza, José Emilio Pacheco und sogar Octavio Paz bleibt Tlalteloco eine offene Wunde, bis heute ungesühnt. Und die mexikanische Literatur seither gespalten in die "ernsthafte" und die "bedenkenlos daher geplapperte", wie ein bekannter deutscher Kritiker formulierte.

Aber wer von allen Schreibenden Mexikos plappert? Vielleicht meinte jener Sandra Sabanero und ihre Familiengeschichte "Mexikanische Hochzeit", die man als veritable Studie des Männlichkeitswahns sehen kann? Oder dachte er an Laura Esquivel? Immerhin erzählt sie in "Bittersüße Schokolade" eine etwas eigenartige Liebesgeschichte und schmückt sie mit Kochrezepten aus. Wer es gelesen oder auch den Film gesehen hat, wird wissen, dass auch hier Gewalt und seelische Grausamkeit schwelen wie unterirdisches Feuer. Machismo, ausgeübt von der Familienobersten, der verwitweten Mutter, die alle tyrannisiert, schlimmer als ein Mann.

Alles dominierender Machismo

Die gottgewollte Macht des Männlichen, der Machismo, durchzieht alles. Die Werke der ganz Großen. Zum Beispiel die ob ihrer kunstvollen Machart als Kult gewerteten Geschichten von Juan Rulfo. Das gesamte Werk von Carlos Fuentes. Jede Zeile des Literaturnobelpreisträgers Octavio Paz. Sogar die skurrilen Phantasien von Juan José Arreola. Und die ziselierten, am Werk des Juan Rulfo orientierten Geschichten des Philosophen-Autoren Alejandro Rossi. Nicht einmal die Romane, die von Frauen geschrieben wurden und von Frauen handeln, kommen ohne aus. Wie denn, sind Frauen doch die Lieblingsopfer der Machos.

Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 14. Februar 2008, 11:40 Uhr

Buch-Tipps
Rosario Castellanos, "Das dunkle Lächeln der Catalina Diaz", Europaverlag 1993

Elena Poniatowska, "Stark ist das Schweigen. Vier Reportagen aus Mexiko", SuhrkampVerlag

Sandra Sabanero, "Mexikanische Hochzeit", Krüger Verlag

Laura Esquivel, "Bittersüße Schokolade", Suhrkamp Verlag

Juan Rulfo, "Pedro Paramo. Der Llano in Flammen", Fischer TB

Carlos Fuentes, "Nichts als das Leben", Suhrkamp Verlag

Octavio Paz, "Das Labyrinth der Einsamkeit", Suhrkamp Verlag

Juan Jose Arreola, "Confabularium", Suhrkamp Verlag

Alejandro Rossi, "Die Flüsse der Vergangenheit. Sechs Geschichten aus dem Hinterland", Suhrkamp Verlag