Wenn Botschaften sich wenden

Negativland

Sie gehören nicht nur zu den großen Meistern des Sampling, sie gehören auch zu den ersten Musikern, die die kreative Kraft des Sampling erkannt und für sich genutzt haben. Dabei wurde Negativland zum Vorreiter der Copyleft-Bewegung.

"I still haven't found what i'm looking for"

Wann immer es um Copyleft geht, wird Negativland als Vorreiter genannt. Negativland hat aber auch den heute oftmals verwendeten Begriff "Culture Jamming" geprägt.

"Culture Jamming” ist eine künstlerische Methode, erklären die beiden Negativland-Begründer Don Joyce und Mark Hosler, die eine Botschaft aufgreift, welche in der Regel aus Radio oder Fernsehen extrahiert wurde. Diese Botschaft wird mehrfach gewendet und in einen anderen Kontext eingebettet. Dabei entsteht eine neue Botschaft, die - verpackt in einen kunstvoll gestalteten Rückschluss - schließlich dazu genutzt wird, um das ursprünglich Gesagte inklusive dessen Trägermedium zu hinterfragen und kritisch zu kommentieren.

"Christianity is Stupid"

Berühmt-berüchtigt wurden Negativland mit ihrem Song "Christianity is Stupid" aus ihrem vierte 1987 erschienenem Album "Escape from Noise", für den die Musiker die Stimme von Pfarrer Estus W. Pirkle sampelten, der schließlich mit bestimmter Stimme und von der Musik nach vorne gepeitscht nicht nur verlautbart, dass das Christentum dumm ist, sondern demgegenüber auch festhält, dass der Kommunismus gut ist.

Plötzlich in aller Munde war dieser Song dann aufgrund eines Gerüchtes, das Negativland selber in die Welt gesetzt hatte. Als die Musiker im Zuge der Vorbereitungen zu ihrer ersten landesweiten Tournee feststellten, dass ihnen diese anstatt Geld zu bringen viel Geld kosten würde, schickten sie ein Schreiben an SST Records, ihr damaliges Plattenlabel, in dem stand, dass sie auf polizeiliche Anweisung hin nun leider alle in der Stadt bleiben müssten, da ein verhafteter Jugendlicher namens David Brom ausgesagt hatte, dass er seine Eltern und seine Geschwister unmittelbar nach einem Streit niedergemetzelt hatte, in dem es eben genau um diesen Song - "Christianity is Stupid" - gegangen war.

Das Familienmassaker hatte sich auch tatsächlich ereignet, die Verbindung zu Negativlands Musik war allerdings an den Haaren herbei gezogen. Offenbar fiel das aber niemandem auf, denn kaum bei der Plattenfirma eingelangt, geisterte die Geschichte auch schon durch die Medien.

Auf die Frage, wie denn nun rückblickend dieses Ereignis ihre weitere künstlerische Laufbahn beeinflusst habe, antwortet Don Joyce: "Wir begannen zu begreifen wie kannibalistisch die Medien sind; dass viele Geschichten nicht auf der Recherche und auf der persönlichen Auseinandersetzung des jeweiligen Reporters oder der jeweiligen Reporterin aufbauen, sondern einfach nur Kopien sind. Leute machen Geschichten aus anderer Leute Geschichten und dabei werden etwaige Fehler multipliziert."

Mit U2 in den finanziellen Ruin

Anfang der 1990er Jahre machte die Band abermals von sich Reden. Negativland veröffentlichte die Single "U2". Das Cover zierte ein Bild des gleichnamigen Spionage-Flugzeugs, die Musik erinnerte stark an den Song "I still haven't found what i'm looking for" von gleichnamiger irischer Rockband, dazu hört man einen launischen Casey Kasem, den langjährigen Moderator der "American Top 40s", der während der Voraufzeichnung einer seiner Radiosendungen lautstark über U2 herzieht und seiner schlechten Laune freien Lauf lässt.

Nicht aber Casey Kasem sondern U2s Plattenlabel "Island Records" war es, das dafür sorgte, dass Negativland bald wieder in aller Munde war. "Island Records" verklagte die Band wegen Verletzung des Urheberrechts und des Markenrechts. Negativland musste schließlich nicht nur die gesamte Auflage der Single zurückrufen und vernichten, sondern fand sich aufgrund der hohen Prozesskosten, die die Musiker zu zahlen hatten, wenig später auch am Rande des finanziellen Ruins wieder.

Spaß mit Sampling nach der Schule
Heute würde so etwas wohl nicht mehr passieren, zeigt sich Don Joyce optimistisch, denn jenen, die bislang auf das Urheberrecht gepocht haben, bliebe gar nichts anderes übrig, als ihre Ansprüche neu zu überdenken, angesichts der Flut an künstlerischen Arbeiten, die heute aus einem Prozess des Samplings heraus entstehen.

Und Mark Hosler ergänzt: "Ich weiß nicht, wie das in Europa ist, aber für die computergeschulten Dreizehnjährigen in den Vereinigten Staaten sind Cut-Up und Collage ein Spaß, mit dem sie sich die Zeit nach der Schule vertreiben. Sie basteln schnell etwas und posten es auf YouTube. Mit Avantgarde hat das nichts mehr zu tun. Cut-Up und Collage sind heute eine allgemeine Form der Unterhaltung."

Musikalische Präzisionsarbeit
Im Mittelpunkt eines jeden Projektes von Negativland steht eine Frage, deren Antwort die Musiker durch die Arbeit mit gefundenem Audiomaterial auf die Spur zu kommen versuchen. Dass die Mitglieder dieser Band aber auch ganz hervorragende Musiker sind, wird angesichts der starken Botschaften oftmals überhört.

"Wir arbeiten sehr, sehr hart an den einzelnen Sounds, an den Texturen und dem Mix, an jedem Detail". so Mark Hosler. "Wir versuchen eine Musik zu schaffen, die reich an klanglichen Erfahrungen ist, und die komplex und einfach toll zum Anhören ist. Das ist uns sehr wichtig. Aber die Ideen hinter unserer musikalischen Arbeit sind so stark, dass uns kaum jemand auf die eigentliche Musik anspricht."

Hör-Tipp
Zeit-Ton, Donnerstag, 21. Februar 2008, 23:05 Uhr

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