Wirkung und Nebenwirkung

Präventionsmedizin

Prävention ist in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Element der Gesundheitsversorgung geworden. Durch Impfprogramme und Vorsorgeuntersuchungen konnten viele Erkrankungen zurückgedrängt werden. Vorsorgen ist aber nicht immer besser als heilen.

Für die Bevölkerung klingt es verlockend, durch kleine Eingriffe - wie eine Blutabnahme, eine Urinprobe oder ein Röntgenbild - Krankheiten erkennen und größere Eingriffe verhindern zu können. Weit verbreitet ist auch die Ansicht, dass Vorsorgemedizin weniger Kosten verursacht als die Behandlung der damit verhinderten Krankheiten verursacht hätte.

Präventionsmedizin wird deshalb von der Bevölkerung, aber auch den meisten Ärzten als positiv und als frei von Nebenwirkungen betrachtet. Tatsächlich können jedoch mangelnde diagnostische Genauigkeit, Fehler bei Untersuchungen oder Nebenwirkungen von Präventionspräparaten schwerwiegende Folgen für gesunde Patienten haben.

Evidence based medicine

Nur eine kritische Beurteilung einzelner vorsorgemedizinischer Maßnahmen nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin ermögliche eine effektive Präventionsmedizin, sagt Gerald Gartlehner. Er ist Allgemeinmediziner, hat fünf Jahre lang an der University of North Carolina in den USA geforscht und ist jetzt Leiter des neuen Departments für evidenzbasierte Medizin und klinische Epidemiologie an der Donau-Universität.

Der Begriff "evidence based medicine", zu Deutsch: evidenzbasierte Medizin, meint jede Form von medizinischer Behandlung, bei der patientenorientierte Entscheidungen auf Basis von bewiesener Wirksamkeit getroffen werden. Die Beweisfindung beruht dabei auf statistischen Verfahren.

Drei Beispiele

Risiken der Präventionsmedizin können verschiedene Bereiche betreffen. Bei Screenings für Brustkrebs werden über einen Zeitraum von zehn Jahren etwa 56 Prozent der Frauen einmal mit einem falschen positiven Ergebnis konfrontiert. Weitere Untersuchungen, eine Gewebeentnahme und die psychische Belastung der (falschen) Krebsdiagnose sind für die Betroffenen eine große Belastung, die sie nicht gehabt hätten, hätten sie keine Vorsorgeuntersuchung machen lassen.

Ein Beispiel für Chemoprävention ist Aspirin, das oft als Mittel zur Verringerung des Herzinfarktrisikos propagiert wird. Aspirin kann jedoch zu Magenschmerzen, Magenblutungen und anderen Nebenwirkungen führen.

Mehr Schaden als Nutzen habe zum Beispiel der PSA-Früherkennungstest für Prostatakrebs, sagt Muir Gray vom National Health Service in Großbritannien, der eine 20-jährige Erfahrung mit Screening-Programmen hat: "Die Leute sagen: Ein PSA-Test kann mir doch nicht schaden, das ist ja nur ein Bluttest. Aber wenn der Bluttest positiv ist, muss man weitere Tests machen und bei vielen Männern wird dann Prostatakrebs diagnostiziert. Viele werden operiert und leiden dann womöglich an Inkontinenz oder Impotenz. Wir wissen jedoch, dass der Krebs in vielen Fällen gar nicht aufgetreten wäre. Wenn wir den PSA-Test nicht gemacht hätten, hätten sie sich die Operation und die Folgen erspart und wären zehn Jahre später mit dem Prostatakrebs in sich an irgendetwas anderem gestorben."

Umstrittene HPV-Impfung

Eine Präventionsmaßnahme, die in den vergangenen Monaten heftig diskutiert wurde, ist die HPV-Impfung, die zur Vorbeugung einer Infektion mit humanen Papillomaviren und damit zur Verhinderung von Gebärmutterhalskrebs dienen soll. Die Diskussion, in der es zuerst vor allem um Wirkung und Kosten ging, wurde durch einen Fall schwerer Nebenwirkungen und einen unklaren Todesfall drei Wochen nach der Impfung noch angeheizt.

Ende Oktober vergangenen Jahres war eine 19-jährige Oberösterreicherin aus ungeklärter Ursache gestorben - drei Wochen nach der ersten HPV-Teilimpfung. Die Todesursache konnte wegen verspäteter Obduktion nicht eindeutig geklärt werden, ein Zusammenhang mit der Impfung sei jedoch medizinisch nicht auszuschließen, urteilte der Gutachter. Eine 15-jährige Niederösterreicherin war drei Wochen nach der Impfung an einer lebensgefährlichen Entzündung des zentralen Nervensystems erkrankt, konnte jedoch gerettet werden.

Diese Fälle würden jedoch nicht bedeuten, dass das Risiko der Impfung höher sei als der Nutzen, so Elmar Joura, Oberarzt an der Universitätsfrauenklinik in Wien. Er hat in den vergangenen fünf Jahren Studien zum HPV-Impfstoff durchgeführt. In den Studien sei bei mehr als 20.000 untersuchten Frauen in keinem einzigen Fall eine schwere Nebenwirkung aufgetreten, die unmittelbar durch den Impfstoff ausgelöst worden sei.

Vorsorge durch Lebensstiländerung

Vergleichsweise geringe Risiken haben jene Vorsorgemaßnahmen, die durch Lebensstiländerung erreicht werden können - also durch Verzicht auf Rauchen, gesunde Ernährung, weniger Stress und mehr Bewegung. Noch dazu, wo sie vor allem gegen Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, Übergewicht oder erhöhte Blutfette wirken, die wiederum gesamtgesellschaftlich das größte Gesundheitsproblem darstellen.

Obwohl reichliche Bewegung nahezu frei von unerwünschten Nebenwirkungen ist, wird sie von viel zu wenigen Menschen durchgeführt. Der Gang zum Arzt für einen Vorsorgetest erscheint oft einfacher.

Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 25. Februar 2008, 19:05 Uhr

Links
Donau Universität Krems - Ist Vorsorgen immer besser als Heilen?
Institut für Präventiv- und Sportmedizin Krems
Gerald Gartlehner
Muir Gray
Elmar Joura