Götz Alys Generalabrechnung mit der 68er-Bewegung
Unser Kampf
Schon der Titel deutet an, in welche Richtung Götz Alys neues Buch geht: "Unser Kampf - 1968". Darin rechnet der deutsche Historiker, selbst ein Protagonist von damals, mit der vielverklärten 68er-Bewegung ab. Auch dieses Buch Alys sorgt für Diskussionen.
8. April 2017, 21:58
Keine Frage, der Mann will provozieren. Die 68er-Revolte, so Götz Aly in seinem heiß diskutierten Buch, sei vor allem in Deutschland ein Spätausläufer des totalitären 20. Jahrhunderts gewesen. In ihrem romantisch-messianischen Furor, in ihrem antibürgerlichen Affekt, auch in ihren anti-israelischen Ressentiments seien die 68er der Generation ihren Hitler-begeisterten Eltern näher gewesen als ihnen heute lieb sein kann. Rudi Dutschke als eine Art antiautoritärer Goebbels im "Summer of love" - der Vergleich tut weh. Entsprechend groß ist die Aufregung in Deutschland. Im sogenannten kritischen Feuilleton ist Götz Aly für seine Abrechnung mit den 68ern böse abgewatscht worden.
"Wir sind als Antiautoritäre 1968 angetreten, und auch das Jubiläum verdient natürlich antiautoritäre Störungen", so Götz Aly im Gespräch. "Ich wundere mich ein bisschen, wie meine Generations- und ehemaligen Kampfgenossen mit Bierernst und Blockwartmentalität darauf reagieren und das Buch als unpassende Störung zurückzuweisen versuchen."
Erfüllt vom Geist der Selbstkritik
Götz Aly, 1947 in Heidelberg geboren, ist selbst ein Aktivist von anno dazumal. Als Sympathisant der maoistischen KPD-AO und als Mitglied der "Roten Hilfe" hat er einige Jahre lang die vom Rauch selbstgedrehter Zigaretten erfüllte Luft linksradikaler Berliner Zirkel inhaliert. Sein Buch - eine Generalabrechnung mit der 68er-Bewegung - ist erfüllt vom Geist der Selbstkritik, auch eine Kulturtechnik, die in den späten 1960ern eine zweite oder dritte Blütezeit erlebt hat.
"Und es gibt noch etwas, was mich richtig ärgert", so Aly. "Ich komme aus der 68er-Bewegung und habe mich mit dem NS lange auseinandergesetzt. (...) Überall dürfen Kontinuitäten aufgedeckt werden, nur jetzt wird plötzlich reagiert mit deutscher Spießigkeit. So reagieren heute meine Altersgenossen, wenn ich sage, wir müssen einmal über die Vergangenheit von Studentenrevolten in Deutschland reden."
Genau das tut Götz Aly in seinem Buch: Er nimmt die Ideologie der marxistisch orientierten 68er auseinander und vergleicht sie mit der Programmatik der völkisch-rechtsradikalen Studenten der 1920er Jahre.
Bleibende historische Verdienste
Man darf Götz Alys Buch nicht als vorurteilsfreie Darstellung der zeitgeschichtlichen Ereignisse lesen. Der 61-Jährige wollte die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der großen studentischen Revolution von anno 68 stören. Das ist ihm glänzend gelungen. Vieles von dem, was Aly - wie seine Genossinnen und Genossen - noch vor 35, 40 Jahren verdammt hat, hat er in inzwischen zu schätzen gelernt: das Gewaltmonopol des Staates zum Beispiel.
Die 68er, so hört man oft, hätten ihr selbstgestecktes Ziel, die klassenlose Gesellschaft, nicht durchzusetzen vermocht. Sie hätten sich aber bleibende historische Verdienste erworben, indem sie die autoritär verfassten Nachkriegsgesellschaften Westeuropas freier, offener, toleranter gemacht hätten. Die Reformen Willy Brandts und Bruno Kreiskys, so hört man immer wieder, seien ohne den Rückenwind von anno 68 nicht möglich gewesen.
Götz Aly ist sich keineswegs sicher, dass diese These stimmt: "Jedenfalls lässt sich sagen, dass die deutsche Gesellschaft seit Mitte der 1960er Jahre von sich aus auf dem Weg zu Reformen war. Auch die sexuelle Revolution, die Erfindung der Pille, hat überhaupt nichts mit der Studentenbewegung zu tun."
Zuspitzungen, aber auch Treffendes
Eine rein rhetorische Frage: Rudi Dutschke und Co. an der Macht - wäre das eine Vorstellung, die Götz Aly behagte?
"Um Gottes Willen! Eine ganz entsetzliche Vorstellung", entgegnet er. "Ich muss auch heute noch sagen: Ich werde lieber von Angela Merkel regiert als von Claudia Roth, einer 68er-Genossin. Ich traue meiner eigenen Generation, gerade wegen des utopischen Überschusses, nur in Ausnahmefällen über den Weg."
Götz Alys zum Teil blendend formuliertes Buch enthält, neben mancherlei Zuspitzungen und Übertreibungen, auch Treffendes und Bedenkenswertes sonder Zahl. Dass jetzt so viele "Au" schreien hat vielleicht damit zu tun, dass der Autor da und dort einen wunden Punkt getroffen hat.
Mehr zu Peter Schneiders "Mein 68" in oe1.ORF.at
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Buch-Tipp
Götz Aly, "Unser Kampf - 1968", S. Fischer Verlag