Die Abschaffung der Sklaverei

Sprengt die Ketten

Adam Hochschild versteht es, ein trauriges Kapitel der Menschheitsgeschichte, den Sklavenhandel, anekdotisch und fundiert, aber auch quellenkritisch zu erzählen. Dennoch und vor allem bietet er den Lesern eine enorm spannende Lektüre.

Von der mehr als unrühmlichen Geschichte des Sklavenhandels sind kaum Artefakte geblieben. Schon gar nicht im Zentrum Londons. Wer ahnt heute noch, dass Goldschmiede in der Londoner Duck Lane "Vorhängeschlösser aus Silber für Schwarze oder Hunde" anboten? Dass Sklaven mitunter Messing- oder Silberhalsbänder mit Namen ihres Herrn trugen und in den Kolonien Käfige mit entflohenen Sklaven aufgestellt wurden, die in ihren Exkrementen auf die Abholung ihrer sogenannten Besitzer warten mussten? Ganz zu schweigen von den öffentlichen Verbrennungen bei lebendigem Leib, die als Disziplinierungsmaßnahmen eingesetzt wurden.

Aus verschwiegenen Tagebüchern ist heute nur mehr zu entnehmen, was damals an der Tages- und Nachtordnung stand: die Vergewaltigungen schwarzer Sklavinnen durch ihre christlich verheirateten Herren.

Gigantische Gewinne

So manche honette Karriere englischer Bürger wuchs am Profit mit Sklavenarbeit - Profite, die mehreren Generationen ein arbeitsfreies Einkommen ermöglichten und dabei auch den philanthropischen Dienst an der Gemeinschaft nicht aussparten.

Die kathedralenähnliche Bibliothek des All Souls College in Oxford wurde aus den Gewinnen einer Sklavenplantage in Barbados finanziert. William Beckford, der ein riesiges Vermögen dem von Sklaven gepflanzten jamaikanischen Zucker verdankte, richtete die üppigsten Bankette seit Heinrich VIII. aus und holte sich Mozart als Klavierlehrer seines Sohnes.

Fließband zum Tod

Im 18. Jahrhundert, während sich in Europa die Ideen der Aufklärung allmählich durchzusetzen begannen, wurden jährlich nahezu 80.000 Afrikaner versklavt und in die Neue Welt verfrachtet. Die Atlantikpassage glich, wie der Autor Adam Hochschild es ausdrückt, einem riesigen Fließband zum frühen Tod, wobei mehr Sklaven in die Karibik und den Süden Amerikas verfrachtet wurden als europäische Emigranten dorthin wanderten. Was sich auf den Transporten abspielte, blieb nicht im Verborgenen.

Der Gestank eines Sklavenschiffes, hieß es, sei so stark, dass die Mannschaften anderer Schiffe ihn eine Seemeile mit dem Wind riechen konnten und dass die Gerüche von Schweiß und Erbrochenem und Fäkalien seiner menschlichen Fracht bis ins Holz eindrangen und sich nicht wegscheuern ließen.

Ein Drittel der Sklaven starb bereits auf dem Transport, ein weiteres in den ersten drei Jahren nach ihrer Ankunft. Durch die miserablen Lebensbedingungen blieb die Geburtenrate extrem niedrig, sodass eine ständige Neuzufuhr von Sklaven zur Aufrechterhaltung des Plantagenbetriebes nötig war.

Bewegung der "Abolitionisten"

Selbst John Locke investierte in den Sklavenhandel und der große Humanist Voltaire protestierte nicht, als ein Sklavenschiff nach ihm benannt werden sollte. Und doch regte sich das Gewissen der Beteiligten. So ging die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei von Leuten aus, die wussten, wovon sie sprachen. Eine kleine Gruppe engagierter Personen, darunter ehemalige Sklavenhändler wie befreite Sklaven, fand sich zusammen, um Ende des 18. Jahrhunderts die erste öffentliche Kampagne mit Breitenwirkung zu starten. Sie nannten sich die "Abolitionisten" und führten einen konkreten Kampf zur Abschaffung der Sklaverei, gleichzeitig aber auch den ersten Kampf für abstrakte Prinzipien der Menschenrechte.

Es war der standhafte Geist der Quäker, der die Bewegung formte. Sie unterwarfen sich keinen weltlichen Hierarchien und hatten Erfahrung als Interessensverband. Erst als sich einige wenige Einzelaktivisten mit den bereits international tätigen Quäkern vernetzten, führte ihre gemeinsame Kampagne in weniger als einer Generation zum Erfolg.

Werbung wie für "Fair Trade"

Weit mehr als die politische Bedrängnis, trug zum raschen Erfolg eines bei: der Versuch, die öffentliche Meinung zu verändern, indem Transparenz zwischen den geschätzten Produkten und der grausamen Welt dahinter hergestellt wurde. Man musste die Menschen in ihrer alltäglichen Lebenswelt erreichen, musste allen voran den für den Einkauf verantwortlichen Frauen klar machen, dass Englands wichtigstes Importprodukt, ihr Zucker, mit Blut gesüßt war.

Die Werbung glich der für die heutigen Fair-Trade-Produkte: "Benjamin Travers, Zucker-Raffineur, gibt dem Publikum bekannt, dass er jetzt eine Auswahl von Hut- und Würfelzucker sowie Puderzucker und Sirup zum Verkauf bereit hat, hergestellt durch die Arbeit von freien Männern.

Sklavenhandel zum Schwerverbrechen erklärt

1807 setzte König Georg III. seine Unterschrift unter eine Regierungsvorlage zum Abolitionsgesetz. Seit dem 1. Mai durfte kein Sklavenschiff mehr auslaufen, die Beteiligung am Sklavenhandel wurde zunächst zum Schwerverbrechen erklärt, später zur Piraterie. Die eigentliche Emanzipation der Sklaven war damit nicht erreicht. Sie erfolgte schrittweise und stellt ein eigenes Kapitel dar, das dieses Buch nur am Rande streift.

Über die in diesem großartigen Buch angewandte Methode wäre eine eigene Erörterung am Platz: Es ist eine wieder interessant gewordene Geschichtsschreibung, die anekdotisch und fundiert, erzählend und quellenkritisch vorgeht. Sie versteht es, das subjektiv Besondere mit dem allgemein Abstrakten zu verbinden und dennoch und vor allem den Lesern eine enorm spannende Lektüre zu bieten.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Adam Hochschild, "Sprengt die Ketten. Der entscheidende Kampf um die Abschaffung der Sklaverei", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Ute Spengler, Verlag Klett-Cotta