Konzerne zerstören Verlagslandschaft
Literaturbetrieb in Kroatien
Die kroatische Literatur- und Verlagsszene ist in der Balkanregion die am stärksten entwickelte. Von ihrem Einkommen als Autoren oder Übersetzer leben können in Kroatien trotzdem die wenigsten. Der Markt ist klein, die verlegerische Vielfalt stark eingedämmt.
8. April 2017, 21:58
Kroatien war also das Schwerpunktland auf der Buchmesse in Leipzig: 38 Autoren mit über 40 Titeln hofften auf deutsches Publikum. Doch unter welchen Bedingungen leben kroatische Schriftsteller und ihre Verleger?
Westeuropäer können viel von den Kroaten lernen, warb der kroatische Schriftsteller Robert Perisic schon im Vorfeld der Buchmesse unter dem Titel "Warum die neuere kroatische Literatur für Sie interessant sein könnte":
Ich denke, es könnte interessant für Sie sein, dass wir einen Zusammenbruch erlebt haben - zunächst den einer Ideologie, dann eines Staates, dann der Gesellschaft (…) also dessen, was wir als normal ansahen. Ich will nicht zu pathetisch über diesen Krieg reden, der sich ereignet hat, aber er stellt dennoch eine Erfahrung dar, die die übrigen Europäer meiner Generation nicht gemacht haben. Ich habe begriffen, dass eine Gesellschaft zusammenbrechen kann (…) nicht "Natur" ist, sondern etwas Geschaffenes, sie ist das, wozu die Umstände und Menschen sie machen. Sie könnte auch verwildern.
Verbände wichtig
Verwildert ist der kroatische Literaturbetrieb nicht. Eher spielen alte Strukturen und Seilschaften auch hier noch eine wichtige Rolle, wie der Journalist Gregor Dotzauer auf seiner Reportagereise ins literarische Zagreb im Tagesspiegel feststellen konnte:
Die Vorstellung, man könne sich die Literatur eines Landes von einem Verband ausgehend erschließen, mutet vielleicht absurd an, meint er. Für kroatische Schriftsteller ist sie aber etwas Selbstverständliches. Die Mitgliedschaft ist der Nachweis einer hauptberuflichen Tätigkeit. Nur so gibt es eine 20-prozentigen Steuerminderung und das Recht, staatliche Stipendien zu beantragen. Die Verbände organisieren wesentlich das literarische Leben und bilden es in Zeitschriften ab - in Übersetzung auch für das Ausland.
Ausländische Öffentlichkeit nutzten der antinationalistische Verlag Durieux und die angesehene linksliberale Wochenzeitung "Feral Tribune" 2001 als politisches Druckmittel: Aus Protest gegen den nationalistisch orientierten ehemaligen Vorsitzenden des ehrwürdigen Schriftstellerverbandes DHK, Ante Stamac, der auf der Frankfurter Buchmesse damals als Redner auftrat, boykottierten sie ihre Teilnahme am dortigen kroatischen Gemeinschaftsstand. 2002 gründeten sie ihren eigenen Verband, den HDP, unter modernerer, liberalerer Prämisse.
Existenzminimum
Ob organisiert oder nicht, Geld machen lässt sich als Autor nicht. Ein Bestseller erreicht in Kroatien eine Auflage von maximal ein- bis zweitausend Stück. Auch der legendäre Durieux Verlag, 1991 als Gegengewicht zu den damals grassierenden Nationalismen in Zagreb gegründet und mittlerweile auch viele Autoren aus anderen ex-jugoslawischen Ländern integrierend, konnte sein Ziel, ein Auskommen für die Autoren und sich selbst zu erreichen, nicht erreichen. Schuld daran gibt Nenad Popovic in einem Interview mit der Literaturagentin Christine Koschmieder auch den europäischen Konzernen:
Was weder der Kommunismus noch der Nationalismus geschafft haben, machen diese fernen Herren mit der linken Hand und steril: Die Abschaffung von Autoren, Verlagen, Buchhandlungen in Kroatien."
Dass kroatische Tageszeitungen, allesamt in ausländischem Besitz, seit einigen Jahren Bücher als billige Beilage verkauften, habe viele Buchhandlungen, Verlage, Autoren und Druckereien ruiniert. Übersetzer arbeiten ihm zufolge für ein bis zwei Euro pro Manuskriptseite.
Grenzüberschreitend und mehrsprachig
Deutsche Übersetzer gibt es immer weniger, klagt Alida Bremer, die Repräsentantin des kroatischen Gemeinschaftsstandes in Leipzig. Seit dem Ende des Kalten Krieges würden immer mehr Slawistikstudiengänge gestrichen werden. Einer der wichtigsten Übersetzer ist der österreichische Wieser Verlag: 16 der 40 neu erschienen Titel kommen aus seiner "Kroatischen Bibliothek".
Was ist kroatische Literatur?
Finanziert wurde der kroatische Auftritt in Leipzig zu einem Großteil vom kroatischen Kulturministerium. Der konservative Kulturminister Bozo Biskupic mische sich zwar nicht in das Konzept ein, so Bremer im Interview mit dem mdr. Dennoch mutete es manchen seltsam an, dass staatliche Institutionen Literatur und Übersetzer finanzieren, deren entscheidende Qualitätskriterien bis Ende der 1990er Jahre jene der "sprachlichen Reinheit" und nationaler Gesinnung waren und die diese bis heute nicht gänzlich überwunden hätten.
Die unpolitische Art vieler der in Leipzig auftretenden Autoren mochte da verdächtig erscheinen. Allerdings, so Koschmieder auf stern.de:
Bei kroatischer Literatur oder Literatur vom Balkan wird oft geglaubt, alle müssten politisch sein und sich mit ihrer gesellschaftlichen Realität besonders auseinandersetzen. Das stimmt eben nur zum Teil. Kroatische Literatur ist neben dem besonderen politischen Aspekt eben auch einfach nur jung und urban wie überall auf der Welt.
Links
Schwerpunkt Kroatien
Warum die neuere kroatische Literatur für Sie interessant sein könnte
Der Tagesspiegel - In Kroatien
Autorenschrittmacher - Interview mit Nenad Popovic
mdr - Interview mit Alida Bremder
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