Das Buch der Woche von Yasmina Khadra
Die Sirenen von Bagdad
Den eigenen Körper zur Waffe machen - diese terroristische Strategie wurde spätestens mit 9/11 auf neues Niveau gehoben. In seinem Roman beschreibt Mohammed Moulesshoul unter seinem Pseudonym Yasmina Khadra den Weg eines Selbstmordattentäters.
8. April 2017, 21:58
Den eigenen Körper zur Waffe machen. Das ist keine unbedingt neue Strategie im Terrorismus. Man erinnere sich an die Mitglieder der deutschen RAF. Auch sie versuchten als letztes Mittel den Gegner durch Hungerstreiks und kollektiven Selbstmord in die Knie zu zwingen.
Der Selbstmordattentäter, wie wir ihn aus dem arabischen Raum kennen, hat diese Art der asymmetrischen Kriegsführung aber auf ein neues Niveau gehievt. Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 fragt sich die westliche Welt, wie es dazu kommt, dass scheinbar integrierte Menschen, von denen man annahm, sie würden die Errungenschaften des Westens schätzen, sich von einem Tag auf den anderen in menschlichen Bomben verwandeln - mit dem einzigen Ziel, soviel Andersgläubige wie möglich mit in den Tod zu nehmen.
Die Sirenen von Bagdad
In seinem Roman zeichnet der algerische Autor Mohammed Moulesshoul, der seine Bücher unter dem Pseudonym Yasmina Khadra veröffentlicht, den Weg eines solchen Selbstmordattentäters nach.
Zu Beginn des Irakkrieges kehrt ein junger Student von Bagdad zurück in sein kleines Heimatdorf. Ein sensibler junger Mann ist der Protagonist dieses Buches, einer der mit den religiösen Eiferern gar nichts am Hut hat. Sein Heimatdorf scheint von den Verwerfungen des Irak-Krieges weit entfernt zu sein. Hier sind die traditionellen Werte noch intakt. Hier regieren noch Anstand, Ehre und Stolz. Oder besser gesagt, jenes archaische System der Unterdrückung und der kollektiven Kontrolle, das im arabischen Raum gerne als Ehre und Anstand verklärt wird.
Der Krieg bricht herein
Aber mit einem Male ist es um die Idylle geschehen. Die amerikanischen Truppen stürmen in das Dorf, und sie brechen herein wie Barbaren. Zuerst erschießen nervöse GIs versehentlich einen Geisteskranken. Dann jagen sie auf der Suche nach Terroristen eine Rakete in eine Hochzeitsgesellschaft. Yasmina Khadra bezieht sich hierbei auf die tragischen Ereignisse vom Mai 2004, als das amerikanische Heer eine Hochzeitsfeier bombardierte, weil sie die Freudenschüsse für feindliches Feuer hielten.
Auch sonst erzählt Yasmina Khadra seine Geschichte eng an der grausamen Realität des Irak-Krieges angelehnt. Die sadistischen Quälereien im Gefängnis von Abu Ghuraib finden ebenso ihren Niederschlag wie die rücksichtslosen Hausdurchsuchungen der amerikanischen Truppen. Eine solche ist es auch, die aus dem lyrischen Jüngling einen verbitterten Kämpfer macht. Denn plötzlich wird die Familie aus dem Schlaf geschreckt und brutal zusammengetrieben. Auf der Suche nach versteckten Waffen wird auch auf den alten Vater keine Rücksicht genommen. So steht er also vor dem Sohn - als zerbrechliche Figur, in schäbigen Unterhosen und zittriger Altmännerstimme. Als der Sohn dann auch noch einen Blick auf den Penis seines Erzeugers werfen muss, fühlt er nur noch Leere. Einen Absturz ins allumfassende Nichts.
Die Geschichte nimmt ihren vorhersehbaren Lauf*
Um die geschändete Familienehre zu rächen und es den ungläubigen aus dem Westen zu zeigen, beschließt der junge Mann sich dem Widerstand im Irak anzuschließen. Und schnell findet er Anschluss an die Dschihadisten, die ihn mit dem angeblichen westlichen Sittenverfall und Filmen über amerikanische Gräueltaten versorgen. Am Schluss steht der Wille zur Vernichtung. Wenn alles sinnlos geworden ist, dann zählt auch das eigene Leben nicht mehr.
Yasmina Khadra ist aufgrund seines Lebenslaufes prädestiniert dafür, den Westen über die Motive islamistischer Selbstmord Attentäter aufzuklären. Der 1955 in Algerien geborene Moulesshoul war bis zum Jahr 2000 hoher Offizier in der algerischen Armee, wo er gegen Fundamentalisten kämpfte. Dieser Bürgerkrieg diente auch als Kulisse für seine Kriminalromane, die ihn im Westen berühmt machten.
Unklare Positionen
Manchmal aber gerät Yasmina Khadra die Doppelexistenz als Soldat und Autor durcheinander. Nach seiner Flucht ins französische Exil zum Beispiel sorgte der Autor für Irritationen, als er die Schuld für den schrecklichen algerischen Bürgerkrieg ausschließlich bei den Fundamentalisten suchte. Die Armee, in der er diente, und die in mehrere Massaker involviert war, verteidigte er hingegen. Und so trägt wohl jener Doktor im Roman, der als Fundamentalismuskritiker durch europäische Talk-Shows und Universitäten gereicht wurde, nur um sich dann enttäuscht und verbittert von eben jenen westlichen Werten abzuwenden und sich selbst als "Dressuraraber" bezeichnet, autobiografische Züge.
Mit "Die Sirenen von Bagdad" ist Yasmina Khadra ein packender Roman gelungen. Über weite Strecken gelingt es ihm, die kulturelle Kluft zwischen West und Ost zu beschreiben. Die Entwicklung des Protagonisten hin zum Selbstmordattentäter aber wirkt ein wenig klischeehaft. Läuft der Mechanismus für die Rekrutierung von selbst ernannten Gotteskriegern wirklich so mechanisch und holzschnittmäßig, ab, wie vom Autor behauptet? Und selbst wenn ja, hätten diesem Roman ein paar überraschende Entwicklungen und Drehungen durchaus gut getan.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Mehr zur Geschichte des Irak in oe1.ORF.at
Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 21. März 2008, 16:30 Uhr
Ex libris, Sonntag, 23. März 2008, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Yasmina Khadra, "Die Sirenen von Bagdad", Nagel & Kimche