Die literarische Antwort auf Götz Aly

Das Wochenende

In seinem Roman untersucht Bernhard Schlink, wie ein haftentlassener Ex-Terrorist auf seine ehemaligen Kampfgefährten und Sympathisanten wirkt. Ihr Zwiespalt aus der Position der sozial Etablierten steht im Zentrum von "Das Wochenende".

Jörg hat Scheiß gebaut, hat bezahlt, und jetzt ist gut und soll er sein Leben wieder auf die Reihe kriegen. Leicht wird es ihm nicht werden. Er hat früher nicht gewußt, wie man arbeitet und mit Menschen zurechtkommt und mit der Welt im Frieden leben - wie soll er es jetzt können? Ich glaube nicht, dass einer das im Gefängnis lernt.

22 Jahre hat Jörg abgesessen bis zu seiner Begnadigung. 22 Jahre für vier Morde. Ulrich, Besitzer mehrerer Dentallabors und Jörgs alter Freund von früher will ihm wieder auf die Beine helfen. Jeder der zu diesem Wochenende Geladenen möchte das: Die Bischöfin, der Rechtsanwalt, die Lehrerin, der Journalist, die Übersetzerin, alles ehemalige Kampfgenossen.

Die revolutionären Überzeugungen von ehedem haben sie in gutbürgerliches, soziales Engagement überführt. Jeder möchte einerseits helfen, ist aber im gleichen Maße auch peinlich berührt: von dem unverbesserlichen Jörg, der sich mit einer Grußadresse an irgendeine Gewalt predigende rote Zelle fast um die Begnadigung gebracht hätte, aber auch von den aufkeimenden eigenen Erinnerungen an Straßenkämpfe, Hörsaalbesetzungen und WG-Szenen.

Freitag, Samstag, Sonntag

Schlinks Buch trägt als Kapitelüberschriften die drei Wochenendtage. Der Spielort ist ein halbverfallenes Herrenhaus in Brandenburg. Der Leser vermutet also, dass ihm vielleicht eine kathartische Handlung in drei Aufzügen geboten wird. Und ist im Irrtum.

Im Focus des Schriftstellers steht auch nicht, wie man annehmen könnte, die Entwicklung des Terroristen während seiner ersten Tage in Freiheit - Jörg ist schnell abgehandelt. Schlink schildert ihn als im Grunde kernloses Wesen ohne Mitgefühl, das sich radikale Programmatik nur deshalb aneignete, um Charakter zu simulieren. Aber wie die anderen sich bemühen, diesen wirren Mittfünfziger im Leben zu halten, das interessiert Schlink.

Das Personal
Da ist einmal Jörgs Schwester Christiane, Ärztin und Mutterersatz für den kleineren Bruder. Sie ist die Organisatorin dieses titelgebenden Wochenendes. Jörg ist ihr Lebensprojekt. Sie hat seine Zukunft organisiert: Vorträge, Talkshows und schließlich eine Autobiografie in einem renommierten Verlag. Aber Jörg, der insgeheim bezweifelt, ob es ein Leben für ihn ohne Schwester gibt, winkt trotzig ab. Trotz und Krieg sind seine einzigen Mittel der Distanzierung. Schlink legt den Schluss nahe, Jörg sei vielleicht deshalb Terrorist geworden, aus Angst, sonst von seiner Märtyrer-Schwester verschlungen zu werden.

Da ist Karin, Bischöfin einer kleinen Landeskirche, die versucht, Jörg zu einem Reuegeständnis zu bewegen. "Tun dir deine Opfer nicht leid?", fragt sie. Aber Jörg versteht gar nicht, was mit dem Wort "Opfer" gemeint sein könnte. Er antwortet:

- Klar tut es mir leid, dass wir ein Projekt verfolgt haben, das nichts geworden ist.
-Ich meine die Opfer! Tun dir die Opfer leid?
- Leid? Manchmal denke ich an sie, an Holger und Ulrich und Ulrike und Gudrun und Andreas und ... an alle eben, die gekämpft haben und gestorben sind, und, ja, manchmal denke ich auch an die Frau, die ihr Auto nicht loslassen konnte, und den Polizisten, der mich festnehmen wollte, und an die Großkopferten, die für diesen Staat gestanden haben, für ihn gestorben sind. Es tut mir leid, dass die Welt nicht ein Ort ist, an dem nicht ... Also natürlich sollte niemand kämpfen und sterben müssen, aber leider ist die Welt nicht so.


Und da ist schließlich auch der Rechtsanwalt Andreas, der Jörg davor schützen will, wieder in die Gewaltszene abzurutschen. Es gibt verführerische Angebote: Die jungen RAF-Epigonen planen für die nächste Runde den Schulterschluss mit europäischen Islamisten.

"Aus Autorität folgt Verantwortung", hält der junge Heißsporn seinem Vorbild Jörg vor und der - gelockt vom Versprechen, wieder wer sein zu können - liebäugelt damit, doch dann kommt der Auftritt von Ferdinand, Jörgs Sohn:

Du bist zur Wahrheit und zur Trauer so unfähig wie die Nazis es waren. Du bist keinen Deut besser - nicht, als du Leute ermordet hast, die dir nichts getan haben, und nicht, als du danach nicht begriffen hast, was du getan hast. Ihr habt euch über eure Elterngeneration aufgeregt, die Mörder-Generation, aber ihr seit genauso geworden. Du hättest wissen können, was es heißt, Kind von Mördern zu sein, und bist Mörder-Vater geworden, mein Mörder-Vater. So, wie du schaust und redest, tut dir nichts von dem leid, was du getan hast. Dir tut nur leid, dass die Sachen schiefgegangen sind und du gefasst wurdest und ins Gefängnis musstest. Dir tun nicht die anderen leid, du tust dir nur selbst leid.

Deutsche Gegenwart
Bernhard Schlinks Krimis und Romane handeln gewöhnlich von der deutschen Gegenwart, und davon, wie die jüngere Geschichte im Hier und Heute den Ton angibt.

Im aktuellen Roman "Das Wochenende" war wohl der Fall Christian Klar das Vorbild. Schlinks Krimis "Selbs Justiz" und "Selbs Betrug" thematisieren die moralisch-politischen Verstrickungen vermeintlicher Aufklärer. Und in seinem weltberühmtem Roman "Der Vorleser", mit dem er als erster deutscher Autor auf Platz eins der Bestsellerliste der "New York Times" stand, geht es um die Liebe eines jungen Mannes zu einer Straßenbahnschaffnerin, deren Vorleben als KZ-Aufseherin eines Tages öffentlich wird und die Gerichte beschäftigt. Dieser in 41 Sprachen übersetzte Roman wird gerade verfilmt.

Das Leben neben der Literatur
Bernhard Schlink ist zwar mit dem "Vorleser" ein weltweit erfolgreicher Autor geworden, ist aber im Tagesgeschäft zunächst einmal Jura-Professor an der Berliner Humboldt-Universität. Die reine literarische Existenz hat er sich nie gewünscht, weil sie, wie er einmal sagte, jene Weltlosigkeit und Selbstverlorenheit befördert, die den typischen deutschen Schriftsteller oft zu seinem Nachteil auszeichnet.

Aber auch das Politische ist seine Sache: 1990 schlug er eine Berufung nach New York aus, um mit Bürgerrechtlern und akademischen Reformern der Noch-DDR am Runden Tisch die Juristerei an der Humboldt-Universität zu reformieren.
Bis vor wenigen Jahren war der heute 63-Jährige außerdem Verfassungsrichter in Münster.

Bezüge zu Götz Aly
"Das Wochenende" von Bernhard Schlink ist ein interessanter Verständigungsbeitrag zur aktuellen RAF-Diskussion; man hätte ihn sich doppelt so lang gewünscht, wenn es denn hülfe. Weil: Manchmal hudelt Schlink bei der Zeichnung einiger seiner Figuren und lässt sich auf ein haarsträubend küchenpsychologisches Niveau hinab. Ansonsten ist "Das Wochenende" eine Art brauchbarer dramatischer Bebilderung der zahllosen Sachbücher zum Thema. Ins Auge fällt da besonders der ebenfalls gerade erschienene neue Titel des Sozialhistorikers Götz Aly, "Unser Kampf - 1968". Ein Buch, das '33 als Tragödie und '68 als deren Wiederholung in Form einer Farce auffasst.

Manchmal erledigt sich dann eine prägende Kraft der Geschichte aber auch still und heimlich von selbst. Schlink zeigt das, indem er die revolutionären Diskussionen von ehedem anklingen lässt und demonstriert hier ganz beiläufig wie der Lauf der Zeit Illusionen als solche hervortreten lässt und jedenfalls die rigorosen RAF-Lehren ihrer Schlagkraft, ihrer Plausibilität und ihres Verführungspotentials beraubt hat.

Service

Bernhard Schlink, "Das Wochenende", Diogenes Verlag

Diogenes - Das Wochenende