Lev Nussimbaum alias Essad Bey alias Kurban Said
Der Orientalist
Jahrelang hat Tom Reiss das Leben des nur 36 Jahre alt gewordenen Autors Lev Nussimbaum recherchiert. Herausgekommen ist eine atemberaubende Studie über einen unbekannt gewordenen Erfolgsautor der Zwischenkriegszeit.
8. April 2017, 21:58
Ein spektakuläreres Leben als das von Lev Nussimbaum lässt sich wohl kaum denken. Geboren am 20. Oktober 1905 im aserbeidschanischen Baku wuchs er als Sohn eines reichen Ölbarons in privilegierten Verhältnissen auf. Levs Leben änderte sich aber radikal, als die russische Revolution nach Baku überschwappte. Eine Zeit lang wohnte auch der spätere Diktator Stalin im Haus der Familie Nussimbaum.
Begegnung mit Stalin
"Oft saß ich ihm gegenüber", erinnerte sich Lev im Jahre 1935 an diese Begegnung. "Meist las er irgendein idiotisches Buch, aus dem hervorging, dass die Weltrevolution vor der Tür ist. Und wenn ich ihn fragte "Mein Gott, haben Sie denn nicht genug gemordet" antwortete er "Was willst du denn? Dich lassen wir leben."
Da die Familie diesem Versprechen aber nicht glauben wollte, floh sie Hals über Kopf. Nach einer abenteuerlichen Irrfahrt über Turkestan, Persien und Konstantinopel landeten Vater und Sohn Nussimbaum schließlich in Rom.
Dort angekommen wollte Lev gleich wieder abreisen. Denn als er eines Abends mit einem anderen russischen Exilanten auf der Via Veneto stand, sah er, wie ein Trupp junger Männer die Straße hinauf marschiert kam und lauthals Parolen brüllte.
"Die Bolschewiken", sagte Lev. "Mit Italien ist es aus. Wir müssen fliehen. Der Russe lachte, wie Lev noch selten jemanden lachen gesehen hatte. "Es sind doch Faschisten", sagte er.
Neues Leben als Essad Bey
In Rom blieb Lev trotzdem nicht lange. Bald schon zog er nach Paris weiter und dann nach Berlin. Und dort begann sein neues Leben als Essad Bey. Mit 19 Jahren schrieb er unter diesem Pseudonym für mehrere Zeitschriften und mit 24 Jahren verfasste er sein erstes Buch, "Öl und Blut im Orient", das ein weltweiter Erfolg wurde.
Essad Bey avancierte zum Medienstar der Weimarer Republik. Durchschnittlich alle zehn Monate veröffentlichte er ein neues Buch, und dabei sind die unter dem Namen Kurban Said herausgebrachten Romane nicht mitgezählt. An Biografien über Stalin, Lenin, Mohammed und Zar Nikolaus II. arbeitete er ebenso wie an einer Geschichte der weltweiten Ölindustrie und einer Abhandlung über die russische Geheimpolizei.
Darüber hinaus schrieb er für die einflussreiche "Literarische Welt". Bis er im Alter von 28 Jahren diese Zeitschrift verließ, hatte er 144 Artikel verfasst - mehr noch als Walter Benjamin, der erklärte Liebling des Herausgebers.
Im Berlin der Zwischenkriegszeit
Im Berlin der 1920er Jahre begann sich der Erfolgsautor auch für Parteipolitik zu interessieren. Seine Suche führte ihn an die Ränder der Weimarer Gesellschaft. Nicht nur für die "Soziale Königspartei", die die Wiedereinsetzung des Kaisers ebenso forderte wie die Errichtung eines "Arbeiterstaates", interessierte er sich, sondern auch für ultraliberale und ultrarechte anti-kommunistische Gruppierungen.
Nicht nur in der Politik fand Lev sein Glück nicht, auch in der Liebe wollte es lange Zeit nicht so recht klappen. In das vor Leben vibrierende Berlin der Zwischenkriegszeit passte der schüchterne Autor nicht so recht hinein.
Die Szenen, die sich zwischen Lev und den Mädchen abgespielt haben müssen und bei denen er wohl zunächst darauf bedacht war, seine eigene Jungfräulichkeit zu schützen, erscheinen umso lächerlicher, als er sich doch in der Öffentlichkeit als der "Mann aus dem Orient" präsentierte. Seine Unbeholfenheit und Schüchternheit standen im krassen Gegensatz zu dem Bild des mit einem Dolch bewaffneten Scheichs, dem mächtigsten Sexsymbol der damaligen Zeit.
Zusammenbruch
1932 heiratet Essad Bey die Millionärstochter Erika Lowendahl, mit deren Familie er nach Amerika reiste und dort in das Leben der Schönen und Reichen eintauchte. Er unternahm unzählige Reisen, schrieb weitere erfolgreiche Bücher und wurde von den einflussreichsten Persönlichkeiten empfangen. Doch dann, nach mehr als drei Jahren, verließ ihn die heiß geliebte Frau. Der mittlerweile in Wien lebende Essad Bey brach zusammen, unternahm drei Selbstmordversuche und unterzog sich einer Psychoanalyse.
Nach und nach verbesserte sich sein labiler Zustand, dafür aber begannen ihn furchtbare Schmerzen an den Füßen zu quälen. Diese steigerten sich dermaßen, dass er am Tag bis zu 30 Injektionen bekam und zwei Jahre im Lehnstuhl verbringen musste. 1942 verstarb Essad Bey, alias Lev Nussimbaum, alias Kurban Said.
Weniger ist manchmal mehr
Jahrelang hat Tom Reiss das Leben des nur 36 Jahre alt gewordenen Autors recherchiert. Und er hat unendlich viel Material zusammengetragen. Herausgekommen ist eine atemberaubende Studie über ein Leben, das auf diese Art und Weise nur zu dieser Zeit gelebt werden konnte. In der Biografie von Lev Nussimbaum spiegeln sich all die großen Verwerfungen des frühen 20. Jahrhunderts wider: Bolschewismus, Faschismus, Nationalsozialismus. Lev Nussimbaum hat alles am eigenen Leib gespürt. Genauso wie den unendlichen Luxus der Ölquellenbesitzer in Baku oder den Reichtum und Glamour der New Yorker High Society.
Die einzige Schwäche dieses Buches: Tom Reiss ist so darauf bedacht, jedes kleinste Detail seiner Nachforschungen unterzubringen, dass sein Text mitunter ausfranst. Fast 430 Seiten umfasst dieses Buch. Sehr lange historische Ausführungen, die nicht immer notwendig erscheinen, erzeugen mitunter ebenso Langeweile wie die zu ausführlichen Berichte über all jene Personen, die Tom Reiss während der Recherche getroffen hat. Das ist schade, gerät dadurch doch die Person Lev Nussimbaum ein wenig in den Hintergrund. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Tom Reiss, "Der Orientalist", übersetzt von Jutta Bretthauer, Osburg Verlag
Link
Osburg Verlag - Der Orientalist