Ursachen und Folgen

Schuldenmachen

Rund 300.000 Haushalte sind nach Schätzung der österreichischen Schuldnerberatungsstellen überschuldet - das heißt soweit verschuldet, dass die Schulden aus dem laufenden Einkommen nicht mehr zurückbezahlt werden können.

Die Daten der Österreichischen Nationalbank zur Situation der Verschuldung bescheinigen Österreich zwar einen Platz im hinteren Feld beim internationalen Ranking, können allerdings keine Aussage treffen über die individuelle Lage der Betroffenen, die hauptsächlich dem unteren Einkommenssegment entstammen.

Alexander Maly, Leiter der Schuldnerberatungsstelle Wien, konstatiert eine "Explosion" der Neuanmeldungen in der Beratung und macht dafür mehrerlei verantwortlich: geringes Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, Anstieg der Kosten für Energie und Wohnen.

26 Prozent der Klientel der österreichischen Schuldnerberatungsstellen haben ein Einkommen unter oder am Existenzminimum, 30 Prozent eines bis zu 1000 Euro, 32 Prozent eines zwischen 1000 und 1500 Euro. 41 Prozent haben maximal eine Pflichtschule abgeschlossen, 51 Prozent eine Berufsschule oder Berufsbildende Schule.

Lohneinbußen und Lohnzuwächse

Laut Alois Guger vom Wirtschaftsforschungsinstitut in Wien hat das unterste Fünftel in der Einkommensverteilung während der letzten zehn Jahre bei den Lohneinkommen Einbußen von acht Prozent hinnehmen müssen, die obersten zwanzig Prozent verzeichneten hingegen Zuwächse von rund 20 Prozent. Die Konsumerhebung zeige, dass das untere Einkommensdrittel mehr ausgebe als es einnehme - die Differenz also über familiäre Transfers oder Kredite finanzieren müsse.

Der Konjunkturaufschwung, so Alois Guger, habe wenig an dieser Situation geändert, weil zwar mehr Arbeit geschaffen wurde, vorwiegend aber in Form atypischer, oft nicht Existenzsichernder Beschäftigungen. So bilden auch ehemals Selbständige mit 30 Prozent den größten Teil der Klientel der österreichischen Schuldnerberatungsstellen, laut Maly viele, die aufgrund mangelnder Chancen am Arbeitsmarkt in die Selbständigkeit gedrängt worden waren und dann gescheitert sind. Oft hätten diese Personen zur Unternehmensgründung reine Privatkredite erhalten und hafteten daher auch persönlich dafür.

Einstiegsdroge Überziehungsrahmen

Andere Auslöser für Überschuldung: Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit, die Übernahme von Bürgschaften. Meist, so Maly, spielen in Schuldnerkarrieren mehrere Aspekte gleichzeitig eine Rolle. Der klassische Verlauf: das Konto ist regelmäßig etwas überzogen, irgendwann einmal weit überzogen, die Bank rät zu einer Umschuldung, vergibt einen Kredit, das Überziehen des Kontos wird weiter praktiziert, weitere Kredite folgen, bis Zahlungsunfähigkeit eintritt, die Bank den Kredit fällig stellt und damit eine vernichtende Zins-Maschinerie für den Betreffenden einleitet. 2006 sind rund 4000 Anträge auf Pfändung von Gegenständen pro Arbeitstag gestellt worden und knappe 3.500 Anträge auf Lohnpfändung.

Der Überziehungsrahmen beim Girokonto gilt bei den Schuldnerberatern als "die Einstiegsdroge" in die Schuldnerkarriere, weil er - ein verkappter Kredit - eine schleichende Einmündung ermöglicht. Sowohl für jenen Teil der Betroffenen, die aufgrund ihrer Einkommenssituation Geld leihen müssen, um ihren Lebensunterhalt fristen zu können, als auch für jenen Teil, der zusätzliches Geld lukriert, um im Statutswettbewerb mithalten zu können - zwei soziologisch definierte Gruppen von Schuldnern, wie sie der Salzburger Armutsforscher Nikolaus Dimmel beschreibt.

Warum es diese beiden Gruppen in diesem Ausmaß vor zwanzig Jahren nicht gegeben hat, macht Schuldnerberater Alexander Maly hauptsächlich an gesetzlichen Regelungen fest, die Mitte der 1980er Jahre des vorigen Jahrhunderts eingeführt wurden - vor allem an der weltweit einmaligen "Drittschuldneranfrage": sie ermöglicht einem Arbeitgeber, beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger Auskunft über die Schuldensituation eines Arbeitnehmers zu erhalten; der Arbeitgeber selbst gilt als "Drittschuldner", der die Lohnpfändung eines Arbeitnehmers zu verwalten hat.

Eine Regelung, die laut Maly Banken den Weg für eine risikolose Vergabe von Privatkrediten freigemacht habe: durch den sicheren Zugriff auf den Lohn eines Schuldners sei die Rückzahlung eines Kredits, und sei es auch nur via Zinsen, gewährleistet, was auch die äußerst geringen Ausfallsraten der Banken zeigten.

Banken und Sozialpolitik

Interessant sei die Vergabe von Privatkrediten in den 1980er Jahren geworden, weil bei den Banken eine Überliquidität eingetreten sei, wäre der Privatkunde zuvor hauptsächlich zum Sparen angehalten worden, wäre er nun als Kreditnehmer wichtig geworden. "Anna, den Kredit hama", so sei die Schicht der Geringverdiener gezielt angeworben worden, nachdem es gegolten habe, Sparergeld an private Kreditnehmer zu "verkaufen".

Herbert Pichler, Geschäftsführer der Bundessparte Bank und Versicherung in der österreichischen Wirtschaftskammer, möchte angesichts der wachsenden Überschuldung in erster Linie allerdings nicht die Banken, sondern die Sozialpolitik angesprochen wissen, die bei Ursachen wie Arbeitslosigkeit, geringe Einkommen oder steigenden Scheidungszahlen steuernd einzugreifen habe.

Demgegenüber stehen Aussagen von Schuldnern, von Banken nicht ausreichend informiert worden zu sein, etwa über die Risiken der Kontorahmenüberziehung. Bankensyndikus Pichler verweist auf die Bonitätsprüfung, die in ausreichendem Maße vorgenommen würde und die Verpflichtung von Banken, bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht von einer Kreditvergabe auszuschließen.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 31. März bis Donnerstag, 3. April 2008, 9:05 Uhr