Die ungewisse Zukunft eines Landes
Viva Mexiko!
Mexiko, ein Land geprägt von den Hochkulturen der Maja und Azteken, ein Land von landschaftlicher Schönheit und Unterschiede, ein reiches und bitterarmes Land zu gleich, ein Land der Extreme und Ungleichheiten, ein Land der Aufstände und Revolutionen.
8. April 2017, 21:58
Bis ins 19. Jahrhundert reicht die Geschichte der ungleichen Sozialen und ökonomischen Entwicklung Mexikos zurück - eine Geschichte, die über die Mexikanische Revolution von 1910 bis heute die sozialen Probleme des Landes fundamental bestimmt.
Die Politik Mexikos lag siebzig Jahre lang in den Händen der 1929 gegründeten Partei der Institutionalisierten Revolution, kurz PRI. Ihr Ansehen stützte sich auf sozial- und reformorientierte Präsidenten, wie Lazaro Cardenas, der 1934 grundlegende Landreformen durchsetzte, die Arbeiter-Selbstverwaltung einführte, die Ölindustrie und das Eisenbahnnetz verstaatlichte.
Ein Machterhaltungsapparat
Doch nach der Amtszeit des sogenannten "roten" Präsidenten Cardenas entwickelte sich die PRI in den Jahrzehnten danach zunehmend zu einem absolut regierenden Machterhaltungsapparat. Der Begriff Revolution verkam zu einer rhetorischen Floskel. 1968, kurz vor den Olympischen Spielen wurden 600 demonstrierende Studenten auf dem Platz von Tlatelolco auf Befehl der PRI-Regierung ermordet.
1976 nutzte Präsident Jose Lopez Portillo die Einkünfte der Mexikanischen Erdölindustrie dazu, eine Periode des Rekordwachstums zu finanzieren. Doch der Ölpreis fiel Anfang der Achtziger Jahre in den Keller. Mexiko konnte seine Schulden nicht mehr bezahlen, und geriet in eine schwere Wirtschaftsrezession.
Ein Viertel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze
Präsident Miguel de la Madrid in Mexiko versuchte 1982 der Schuldenkrise mit neoliberalen Wirtschaftsrezepten Herr zu werden. In den Achtziger Jahren halbierten sich die Reallöhne, die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung nahm stark zu.
1986 trat Mexiko dem Freihandelsabkommen GATT bei, das den Außenhandel völlig liberalisiert. Ein Jahr später galten 60 Prozent der Bevölkerung nach internationalen Kriterien als "arm", die Hälfte der mexikanischen Bevölkerung musste mit einem Monatseinkommen von 200 Dollar das Auslangen finden.
Während die Gewinne der privaten Unternehmen und transnationalen Konzerne enorm ansteigen, lebt heute ein Viertel der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze, 28 Prozent haben weniger als eineinhalb Dollar pro Tag zum Leben.
Wer kann, wandert aus
Die Ungleichheit wächst. Sie hat System. Die Eisenbahngesellschaft, die Fluggesellschaft, Flughäfen, Minen und ein Drittel der Elektrizitätswirtschaft des Landes sind bereits in privaten Händen.
Die Telekommunikation des Landes wird von Carlos Slim beherrscht, dem zweitreichsten Mannes der Welt nach Warren Buffett. Das Bankenimperium Banamex, das einem Konsortium der US-Grossbank Citigroup gehört, hat erst kürzlich Interesse an der Übernahme des staatlichen Ölkonzerns Pemex angemeldet.
1992 unterzeichnete Präsident Salinas das NAFTA- Freihandelsabkommen, das den Handel mit Gütern und Dienstleistungen mit den USA und Kanada liberalisiert. Dadurch wird Mexiko mit subventionierten billigen Nahrungsmitteln wie Mais aus den USA und Kanada überschwemmt. Studien der Weltbank belegen, dass seit dem Inkraft-Treten von NAFTA sechseinhalb Millionen mexikanische Bauern ihre Landwirtschaft aufgeben mussten.
Mexiko erlebt in den letzten zwei Jahrzehnten die größte Migrationsbewegung seiner Geschichte. 15 Millionen Mexikaner sind in den letzten zwei Jahrzehnten in die USA eingewandert, weil sie im eigenen land ihren Lebensunterhalt nicht mehr verdienen können.
Indigenen Bevölkerung wird unterdrückt
Chiapas, der südlichste mexikanische Bundesstaat ist - zumindest für politisch Interessierte - die wohl bekannteste Region Mexikos. Sie ist mehrheitlich von Indigenen bewohnt. Die Armut ist dort am höchsten und die politischen Konflikte am härtesten. Das an der Peripherie gelegene Chiapas wurde an der wirtschaftlichen Entwicklung des Zentrums und des Nordens nicht beteiligt.
Zwar wird das wasserreiche Hochland als Energielieferant genützt und seine Rohstoffe ausgebeutet. Die indigene Bevölkerung profitiert aber nicht davon. Die indigenen Bauern werden als rückständiges Hindernis für eine profitable Agrarindustrie gesehen. Und deshalb werden sie ausgegrenzt und unter Druck gesetzt.
Die Zapatistische Freiheitsbewegung
In den Siebziger und Achtziger Jahren starben 30.000 Indigenas im Lacandonischen Urwald an Hunger und Seuchen. Ihr Leid wurde aber nicht beachtet. Weder die Gesellschaft noch die Politik interessierte sich für die missliche Lage der Ureinwohner. Das war der Boden auf dem Anfang der Achtziger Jahre die Zapatistische Befreiungsbewegung EZLN entstand. Sie versuchten mit friedlichen Mitteln auf die Not der Indigenen aufmerksam zu machen.
Das Friedensabkommens von San Andres aus dem Jahr 1996 sicherte ihnen Schutz ihrer autonomen Gebiete zu, wurde aber von Seiten der Exekutivorgane, dem Kongress aber auch dem Mexikanischen Höchstgericht nicht umgesetzt. Die Zapatisten warfen der Regierung Verrat vor und brachen daraufhin den Dialog ab.
Was wird aus Mexiko werden?
In der hoch militarisierten Region werden die zapatistischen Gemeinden sowohl vom Militär als auch von paramilitärischen Gruppen wiederholt attackiert. Subcommandante Marcos, ein hochintelligenter und literarisch bewandter Philosoph, ist der charismatische Führer der EZLN, der in Mexiko so wie Che Guevara bereits zu Lebzeiten Kultstatus genießt.
Er will, zusammen mit anderen mexikanischen Demokratie- und Befreiungsbewegungen "ein Mexiko schaffen, in dem viele Mexikos Platz haben". Sein gegen die Vorherrschaft der neoliberalen Politik ausgerichtetes Engagement ist auch für viele westliche antisystemische zum Vorbild geworden. Welches Mexiko allerdings entstehen wird, wird in der derzeitigen instabilen Lage des Landes die Geschichte zeigen.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag. 7. April bis Donnerstag, 10. April 2008, 9:05 Uhr