Die Musikszene Äthiopiens
Soul aus Adis
Seit Jim Jarmusch für den Soundtrack von "Broken Flowers" einige Stücke von Mulatu Astatque verwendet hat, erlebt äthiopische Musik international einen späten Boom. Äthiopien ist ein Land mit einer überreichen Musikgeschichte.
8. April 2017, 21:58
Ausschnitt aus Mulatu Astatques "Netsanet"
Denkt man heute an Äthiopien, drängen sich immer noch Bilder der Hungersnot von 1984 auf. Die Katastrophe hat dem Ostafrikanischen Land einen Stempel aufgedrückt, ein Stigma, das auch fast ein Vierteljahrhundert später nur langsam verschwinden will.
Doch am Flughafen von Adis Abeba, der dreineinhalb Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt, begrüßt den Ankommenden ein Schild mit den Worten: "Willkommen in Äthiopien, dem Zentrum der aktiven Erholung und Entspannung".
Tradition und urbanes Nachtleben
Und auch das ist Äthiopien: ein Land in dem 16 Jahrhunderte alte christliche Tradition und urbanes Nachtleben keine Widersprüche sind. Ein Land voll grüner, Fruchtbarer Hochebenen. Ein Land mit einer überreichen Musikgeschichte, die ihre eigenen Pendants zu Elvis Presley, James Brown und Duke Ellington hervorgebracht hat.
Die Jahre von 1969 bis 1978 gelten als "Goldenes Zeitalter der äthiopischen Musik. In diesem knappen Jahrzehnt wurden in Äthiopien hunderte Singles und cirka 30 LPs produziert. Die allermeisten Stars der äthiopischen Musikszene gingen aus Polizei- oder Militärkapellen hervor - wie zum Beispiel Mahmoud Ahmed, der Seit 1963 Sänger der Kapelle der Imperialen Garde war. Das Lied "Ere Mela Mela" war 1975 einer seiner größten Erfolge.
Modernist Mulatu Astatque
Der Bandleader, Arrangeur und Komponist Mulatu Astatque war einer der wichtigsten Modernisten des Landes. Bei seinem Musikstudium in den USA mit dem Jazz-Virus infiziert, nahm er seine ersten Alben Mitte der 1960er Jahre auf. Astatque selbst nennt seine Musik "Ethio-Jazz".
In den 1960er-Jahren waren Militär- und Polizeikapellen die einzigen zuverlässigen Arbeitgeber für aufstrebende Musiker. Auch Tlahoun Gessesse war Mitglied einer solchen Militärkapelle - seine Sangeskarriere begann er als Zwölfjähriger. Gessesse wird in Äthiopien respektvoll "Die Stimme" genannt und gilt bis heute als größter Star des Landes.
Hochblüte gewaltsam beendet
Bedenkt man die wichtige Funktion der Militärkapellen, erscheint es beinahe ironisch, dass es ein Militärputsch war, das die kulturelle Hochblüte gewaltsam beendete: Der blutige Coup von 1974 und das damit verbundene Klima der Repression machte Musikern das Leben zunehmend schwieriger. Viele wanderten aus, 1978 wurde die Produktion von LPs schließlich völlig eingestellt. Erst 1991 fand die Militärdiktatur ein Ende - seit dem erlebt die äthiopische Musik ein Comeback.
Musik wie aus einer anderen Welt - und doch - für westliche Ohren klingt vieles in der äthiopischen Musik auch seltsam vertraut.
Beim Französischen Buda-Label sind in der Serie "Ethiopiques" mittlerweile 23 CDs erschienen, die nahezu das ganze Spektrum äthiopischer Musik abdecken - von der traditionellen Musik der "Azmari" genannten Troubadoure über die von Jazz, Soul und indischer Filmmusik beeinflussten Modernisten der Siebziger.
Hör-Tipp
Spielräume, Sonntag, 20. April 2008, 17:30 Uhr
Links
The Very Best of Ethiopiques
Buda Musique