Geschichte des Indischen Ozeans

Die maritime Seidenstraße

In seinem Buch rekapituliert Roderich Ptak die Entwicklung der asiatisch-afrikanischen Seeverbindungen bis zum Beginn der Neuzeit. Er untersucht jenes Gebiet, für den sich der Begriff "die maritime Seidenstraße" eingebürgert hat.

In Asien gilt nicht Christoph Kolumbus oder Vasco da Gama als größter Seefahrer aller Zeiten, sondern ein Mann, der nach seinem Tod mit dem Zusatz "Eunuch, Admiral und Gott" bedacht wurde: der Chinese Zheng He. Als Knabe kastriert und als Diener an den kaiserlichen Hof geschickt, wurde er später vom dritten und wohl bedeutendsten Kaiser der Ming-Dynastie, dem sogenannten Yongle-Kaiser, zum Befehlshaber über eine gewaltige Flotte ernannt.

1405 unternahm Zheng He seine erste große Reise. Mit einer mächtigen Armada kaiserlicher Schatzschiffe - die Rede ist von mehr als 60 riesigen Dschunken mit knapp 30.000 Mann Besatzung - fuhr er über Vietnam, Java, Melaka und Sri Lanka an die Südostküste Indiens und traf schließlich in Kalikut ein, fast hundert Jahre vor Vasco da Gama, der 1498 als erster Europäer über das Kap der Guten Hoffnung nach Indien gelangte.

Noch sechs weitere Male beschiffte Zheng He mit großen Flotten den Pazifischen Ozean und das Südchinesische Meer, das Bengalische und das Arabische Meer bis zur Ostküste Afrikas - jenen Seeweg also, der im Laufe der Jahrhunderte vor allem von Chinesen erschlossen wurde und "die maritime Seidenstraße" genannt wird, die jetzt der Sinologe Roderich Ptak in seinem gleichnamigen Buch porträtiert.

Von Ost nach West

Die Expeditionen des Admirals Zheng He sind nur ein - und zwar relativ spätes - Kapitel in Roderich Ptaks großangelegter historischer Studie, die die Entwicklung der asiatisch-afrikanischen Seeverbindungen bis zum Beginn der Neuzeit rekapituliert. "Küstenräume, Seefahrt und Handel in vorkolonialer Zeit" heißt denn auch der Untertitel des Buches, das "die Geschichte der seegestützten Beziehungen innerhalb jenes riesigen maritimen Kontinuums" untersucht, für den sich der Begriff "die maritime Seidenstraße" eingebürgert hat.

Roderich Ptak, der sich methodisch auf den französischen Historiker und Mittelmeer-Experten Fernand Braudel beruft, will eine Art Paradigmenwechsel propagieren - und nicht von West nach Ost gehen, sondern vice versa, nicht vom Land aufs Meer blicken, sondern umgekehrt. Maritime Geschichtsschreibung oder maritime "Kinematographie" nennt er das.

Händler und Häfen

Die Geschichte der maritimen Seidenstraße beginnt in vorchristlicher Zeit, allerdings zunächst in räumlich beschränkten Zonen. Kenntnisse über saisonale Winde und Strömungsverhältnisse in bestimmten Meeresteilen ermöglichten schon bald die Zurücklegung weiter Distanzen. Mit großen Flotten taten sich vor allem die Chinesen hervor, die schon früh Handelsverbindungen zwischen Ost- und Südchinesischem Meer, aber auch zu Indien aufbauten.

Von einer durchgängigen maritimen Trasse kann freilich noch keine Rede sein. Erst die Wu-Dynastie im dritten nachchristlichen Jahrhundert und vor allem die Tang ab circa 600 förderten verstärkt die Seefahrt. Händler und Häfen teilten nun untereinander den asiatischen Seeraum auf, Waren und Geld zirkulierten immer schneller und über immer größere Entfernungen hinweg, das Netz von Diaspora-Ansiedlungen bzw. Stützpunkten an Land wurde dichter und - ab Mitte des 8. Jahrhunderts - die Bedeutung des Seewegs gegenüber den Landverbindungen größer.

Export und Import

Zu Beginn des zweiten Jahrtausends, mit der Integration der Ostroute nach Japan und Korea und zusätzlicher afrikanischer Abschnitte im Westen, dehnte sich die maritime Seidenstraße weiter aus. Gold und Metalle, Perlen und Schmuck, Gegenstände aus Glas und Keramik wurden über den Seeweg transportiert, aber auch Seide, Hölzer und Gewürze. Elfenbein, Silber und rote Korallen wurden nach China importiert, Weihrauch und Myrrhe vom Südteil der Arabischen Halbinsel nach Ägypten und Kleinasien, Baumwollprodukte aus Indien wurden über die Arabische See und den Bengalischen Golf verschifft.

Man handelte mit Reis, Zucker, Gewürznelken und Opium, mit Grabsteinen, Musikinstrumenten und Möbeln, aber auch mit Elefanten, Pferden, exotischen Vögeln - und sogar mit Sklaven. Doch nicht nur ein Waren-, auch ein Kulturtransfer fand über die maritime Seidenstraße statt. Handwerkliches und technisches Know-how, aber auch religiöse Ideen verbreiteten sich von Indien und China aus. Der Buddhismus gelangte nicht zuletzt auf dem Seeweg nach Südostasien und nach Japan.

Blütezeit bis ins 15. Jahrhundert

Waren es anfänglich vor allem private Händler, die die maritime Seidenstraße nutzten, so verstärkten sich später auch staatliche Unternehmungen. Die Ming untersagten schließlich eine Zeit lang jeglichen Privathandel und legten stattdessen ihr eigenes Flottenprogramm auf, mit Admiral Zheng He an der Spitze. Verstärkung des Handels, Bekämpfung der Piraterie, Herstellung von politischen Beziehungen waren das Ziel.

1435, nach Zheng Hes siebter und letzter großer Fahrt und lange vor der europäischen Expansion, endete die Blütezeit der staatlichen chinesischen Seefahrt, der Handel über die maritime Seidenstraße freilich ging weiter. Was in der Folgezeit geschah, lässt Ptak nur mehr im Zeitraffer passieren, und nur mehr bis zur Ankunft der Europäer: 1557 errichteten die Portugiesen auf Macau, 1571 die Spanier in Manila eine Niederlassung.

Entwicklung und Bedeutung

Auch wenn er einräumen muss, dass das Bild der maritimen Seidenstraße als eines in sich geschlossenen Ganzen eine Vision ist, der maritime asiatische Raum vielmehr in viele einzelne Segmente zerfällt, in lauter kleine Mosaike, "die allesamt unvollständig" blieben und am Ende einer "Sequenz selektiv wahrgenommener Bilder unterschiedlicher Regionen und Zeiten" glichen, so ist doch Roderich Ptak vermutlich der erste, der Entwicklung und Bedeutung der maritimen Seidenstraße in einem panoramaartigen und zugleich komprimierten Überblick würdigt.

Sein Buch ist gründlich, nüchtern und spröde referierend, nicht unbedingt das, was man sich unter einem populären, flott geschriebenen Sachbuch vorstellt, markiert immer wieder die Grenze zwischen Fakt und Spekulation und läuft nie Gefahr, sich in Legenden oder Anekdoten zu verlieren. Nicht spannender Geschichtsunterricht, Objektivität steht im Vordergrund bei Roderich Ptak.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Roderich Ptak, "Die maritime Seidenstraße. Küstenräume, Seefahrt und Handel in vorkolonialer Zeit", Verlag C. H. Beck

Link
C. H. Beck Verlag - Die maritime Seidenstraße