Gegensätze und künstliche Spaltung
60 Jahre Israel
Der 14. Mai 1948 markiert für Israelis und Palästinenser zwei radikal gegensätzliche Ereignisse. Die jüdische Bevölkerung feiert an diesem Tag den Triumph des zionistischen Projekts, für die Palästinenser ist es der Beginn der Katastrophe - nakba.
8. April 2017, 21:58
Triumph und Katastrophe liegen im Nahen Osten eng beieinander. Das ist nirgendwo sonst so deutlich zu spüren wie in den nationalen Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Staatsgründung Israels.
Für die jüdische Bevölkerung markiert das Jahr 1948 den Sieg des zionistischen Projekts über die jahhundertelange Geschichte von Unterdrückung und Vertreibung. Für die Palästinenser dagegen repräsentiert es den Beginn einer Katastrophe, der nakba, die bis heute kein Ende genommen hat. Ein eigenständiger Staat, wie er im Teilungsplan der britischen Mandatsmacht von 1947 vorgesehen war, ist für sie bis heute ein uneingelöstes Versprechen geblieben. Hunderttausende leben immer noch als Flüchtlinge oder Bürger zweiter Klasse im eigenen Land.
Spaltung und Verleugnung
Die gewaltsame Teilung des historischen Palästina und die Besetzung der palästinensischen Gebiete weit über die Waffenstillstandslinien von 1948 hinaus, prägt die Psychogeografie des Nahen Ostens bis heute. Sie hat die Region in zwei radikal gegensätzliche Zeit- und Denkhorizonte gespalten und die innige Verbindung von jüdischer und arabischer Kultur, die die Geschichte des Landes lange geprägt hat, zum Verschwinden gebracht.
Amon Raz Krakotzkin, Professor für jüdische Geschichte an der Ben Gurion Universität, geht sogar so weit zu sagen, dass Israels Selbstverständnis auf einem Prozess merhfacher Verleugnung gründet: auf der Zurückweisung des Welt- und Geschichtsverständnisses relgiöser, nicht zionistischer Juden, aber auch auf der radikalen Absage an die Existenz der Palästinenser als eigenständige und gleichberechtigte Nation.
Die Etablierung von Gegensätzen
Der historische Verdrängungsprozess, auf dem die zionitischen Pioniere die Identität und Existenzberechtigung eines jüdischen Nationalstaates aufbauten, etablierte jüdische und arabische Kultur und Identität mehr und mehr als unvereinbaren Gegensätze und Widerspruch in sich.
Den Preis dafür zahlten nicht nur die Palästinenser. Auch die Mizrahim, nicht-ashkenasische Juden, die aus verschiedensten Ecken Afrikas, Asiens und dem Nahen Osten nach Israel eingewandert sind, kämpfen bis heute um Anerkennung als gleichwertiger Teil des modernen israelischen Staats.
Die Mizrahim, arabische Juden
Rund 50 Prozent der heutigen Bevölkerung Israels haben arabische Wurzeln. Ihre kulturelle Identität und Traditionspflege ist eng an der sephardischer Juden angelehnt. Bei weitem nicht alle Mizrahim sind religiös, und trotzdem passten sie nicht ins Bild des modernen, aufgeklärten Judentums, das als Schablone für das neue Nationalbewußtsein dienen sollte.
Noch bis in die 1970er Jahre wurden mit gezielten Umerziehungsmaßnahmen und gar Zwangsadoptionen von arabischstämmigen Kindern gewaltsam nach den Idealvorstellungen der europäisch stämmigen Gründungsväter geformt.
Anpassung statt Widerstand
Die kulturelle Ausgrenzung und Diskriminierung schlägt sich bis heute in Zahlen nieder. Der Begriff Mizrahim steht mittlerweile für eine geografische wie ethnisch-soziale Kategorie. Mizrahim stellen immer noch den Großteil der armen und sozial benachteiligten Bevölkerung. Mittel- und Oberschicht dagegen sind ein ashkenasisch geprägtes - und damit weißes und europäisches - Milieu.
Auch wenn heute weit mehr Kinder arabischer Juden studieren als noch in den 1950er Jahren, die Zahl der Hoschulabschlüsse fällt immer noch weit hinter die europäischer Einwanderer zurück. Anstatt die soziale und kulturelle Ausgrenzung aber an ihren Wurzeln zu bekämpfen, setzte die Mehrheit der Mizrahim auf radikale Anpassung und Assimilation. Die Hegemonie der ashkenasischen Kultur in Frage zu stellen, stand für viele niemals zur Debatte, erzählen die Kinder der ersten Einwanderergeneration in den 1950er Jahren. Ihre Eltern verleugnen bis heute ihre arabischen Wurzeln und Kultur.
Feindbilder und Stereotype aufbrechen
Die Nachkommen der ersten arabischen Einwanderer haben in den vergangenen Jahrzehnten begonnen, ihre arabischen Wurzeln neu zu entdecken und sich aktiv für die Anerkennung und Gleichberechtigung nichteuropäischer Juden zu engagieren.
Ihr Kampf ist nicht nur ein eigenütziger, viele verstehen die Aufarbeitung der eigenen, arabischen Geschichte auch als einen Weg, Feindbilder und Stereotype aufzubrechen, wenn nicht gar abzubauen.
Der Tag, an dem jüdische und arabische beziehungsweise israelische und palästinensische Identität nicht mehr als Quelle von Konflikten und Widersprüchen sondern als homogene Einheit gelten und gesehen werden, mag in weiter Ferne liegen. Gelebt wurde sie immer im Alltag. Quer durch die Geschichte. Tag für Tag.
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Hör-Tipp
Radiokolleg, Dienstag, 13. Mai bis Donnerstag, 15. Mai 2008, 9:05 Uhr
Buch-Tipps
Sari Nusseibeh, Anthony David, "Es war einmal ein Land. Ein Leben in Palästina", aus dem Englischen übersetzt von Gabriele Gockel, Katharina Förs und Thomas Wollermann, Verlag Antje Kunstmann
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Stephen Walt, John Mearsheimer, "Die Israel-Lobby. Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird", Campus Verlag
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Idith Zertal und Akiva Eldar, "Die Herren des Landes: Israel und die Siedlerbewegung seit 1967", aus dem Englischen übersetzt von Markus Lemke, DVA Verlag
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Hanna Arendt, “The Jewish Writings”, Schocken Books
Nur Masalha, “Imperial Israel and the Palestinians”, Pluto Press
Arthur Neslen, “Occupied Minds”, Pluto Press
Ilan Pappe, “The Ethnic Cleansing of Palestine”, Oneworld Publications
Jacqueline Rose, “The Last Restistance”, Verso Books
Tom Segev, “Die ersten Israelis“, Siedler Verlag
Tom Segev, “1967: Israels zweite Geburt“, Siedler Verlag
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Avi Shlaim, “The Iron Wall: Israel and the Arab World”, Penguin Books Ltd
Avi Shlaim, “The War for Palestine: Rewriting the History of 1948”, Cambridge University Press
Eyal Weizman, “Hollow Land. Israel’s Architecture of Occupation”, Verso Books
Idith Zertal, “Lords of the Land: The War for Israel's Settlements in the Occupied Territories, 1967-2007”, Nation Books