Kurzer geschichtlicher Abriss
Prager Frühling
229 Tage lang dauerte der sogenannte "Prager Frühling" im Jahr 1968. In dieser kurzen Zeit erlebte die damalige Tschechoslowakei den Versuch, das kommunistische System von innen heraus zu verändern - und scheiterte an der Sowjetunion.
8. April 2017, 21:58
Zdenek Mlynar galt als "Bremser"
Dieser Frühling begann im Winter: Am 5. Jänner 1968 wurde bei einer Sitzung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei der 63-jährige Altstalinist Antonin Novotny abgesetzt, an seiner Stelle wurde der 47-jährige Alexander Dubcek zum Parteiführer gewählt. Dubcek war einer der sogenannten Reformer, und diese bildeten eine recht heterogene Koalition:
Da waren einmal die Wirtschaftsreformer, die die starre Planwirtschaft lockern und Marktelemente einführen wollten. Dann gab es die Schriftsteller und Intellektuellen, die einen größeren Freiraum für ihre künstlerische und wissenschaftliche Tätigkeit anstrebten. Und dann die slowakischen Politiker, die um ein mehr an Autonomie gegenüber dem Prager Zentralismus bemüht waren. Um ihre Position gegenüber den Konservativen in der Parteiführung zu verbessern, suchten die Reformer Unterstützung - und zwar durch die Bevölkerung, die bisher ja recht wenig zu reden hatte.
Vieles diskutiert und infrage gestellt
Die Massenmedien erhielten grünes Licht für eine freiere Debatte über das, was schiefgelaufen war und darüber, was zu verändern sei. Die Zensur wurde abgeschafft, in den Medien kam es zu einer richtigen Informationsexplosion. Schon Ende Jänner wurde in der Prager Altstadt ein Kiosk eröffnet, in dem erstmals auch westliche Zeitungen zu kaufen waren. Plötzlich konnte über alles diskutiert, vieles infrage gestellt werden.
Anfang April beschloss die Parteiführung ein sogenanntes "Aktionsprogramm". Darin wurden die Probleme des Landes schonungslos benannt. Das war für eine kommunistische Partei, in der gewundene Kommuniqués in verdrehter Sprache meist das Maximum an Offenheit darstellten, eine ziemliche Sensation.
Das seit Jahren bestehende langsame Wachstum der Löhne, die Stagnation des Lebensniveaus und besonders das ständig größere Zurückbleiben hinter den hochentwickelten Industriestaaten auf dem Gebiet der Infrastruktur, der katastrophale Zustand des Wohnfonds, der ungenügende Wohnungsbau, das mangelhafte Verkehrssystem, die schlechte Qualität von Waren und Dienstleistungen, die Kulturlosigkeit der Umwelt (..).
Befugnisse der Staatssicherheit eingeschränkt
Im Aktionsprogramm der KPC wird dann eine Reihe von Maßnahmen aufgezählt, die eingeführt werden sollten: Geheime Abstimmungen in den Gremien, mehr Mitbestimmung in den Betrieben, Stärkung der Gewerkschaften. Es ging um die Rehabilitierung der Opfer des Stalinismus, um die Möglichkeit, ins Ausland zu reisen, aber auch um die Herstellung der Selbstständigkeit der Unternehmen, um das Recht auf die freie Wahl des Arbeitsplatzes.
Die Befugnisse der Staatssicherheit wurden eingeschränkt, das systematische Stören von ausländischen Radiosendern wurde beendet. Im restlichen Ostblock wurde all das mit zunehmendem Misstrauen beobachtet. In der DDR untersagte die herrschende SED den Verkauf der deutschsprachigen "Prager Volkszeitung". Und die Genossen Leonid Breschnew, Walter Ulbricht, Janos Kadar und andere schrieben an ihre tschechoslowakischen Brudergenossen einen harschen Brief. Darin hieß es:
Die antisozialistischen und revisionistischen Kräfte haben die Presse, den Rundfunk und das Fernsehen an sich gerissen und sie zu einem Sprachrohr der 'Angriffe gegen die Kommunistische Partei, der Desorientierung der Arbeiterklasse und aller Werktätigen, einer zügellosen antisozialistischen Demagogie, der Unterminierung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen der CSSR und anderen sozialistischen Ländern gemacht.
Manifest der 2000 Worte
Die tschechischen Reformer waren in der Zwickmühle: Während die kommunistischen Parteien der sogenannten "Bruderländer" die Öffnung mit höchstem Misstrauen beobachteten, ging sie für manche im Land zu wenig weit. Ende Juni erschien das vom Schriftsteller Ludvík Vaculík verfasste "Manifest der 2000 Worte".
Fordern wir öffentliche Sitzungen der Nationalausschüsse. (...) Verwandeln wir die Bezirks- und Ortspresse, die meist zu einem amtlichen Sprachrohr degeneriert ist, in eine Tribüne aller positiven politischen Kräfte, fordern wir die Bildung von Redaktionsräten (...) oder gründen wir andere Zeitungen. Bilden wir Ausschüsse zur Verteidigung der Freiheit des Wortes. (...) Entsenden wir Delegationen zu den zuständigen Stellen, veröffentlichen wir ihre Antworten, etwa durch Anschlag am Tor. (...) Enthüllen wir Spitzel!_
Zahlreiche Verhandlungsrunden
Das "Manifest der 2000 Worte" wurde von Regierung, Partei und Nationalversammlung umgehend abgelehnt. Das war unverantwortlich, hieß es, das ging zu weit. Aber wieso sollte die Reform plötzlich Halt machen? Warum nicht auch die Möglichkeit fordern, andere Parteien zu gründen als die alleinherrschende kommunistische? Zdenek Mlynar, in den 1990er Jahren Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, ist währen des Prager Frühlings öfter dafür kritisiert worden, die Entwicklung bremsen zu wollen.
Die sowjetische "Prawda" warnte vor zunehmender Wühltätigkeit der "rechten, antisozialistischen Kräfte". Die "Literaturnaja Gazeta" sah gar Provokationen, Aufruhr und Konterrevolution. Über den Sommer 1968 gab es mehrere Verhandlungsrunden zwischen Alexander Dubcek und den anderen Parteiführern aus der DDR und der Sowjetunion.
Durch Truppen besetzt
Dann der Dienstag, der 20. August 1968: Um etwa 21:00 Uhr landen am Prager Flughafen Ruzyne zwei Zivilmaschinen, aus denen 80 bewaffnete Nichtmilitärs steigen. Sie bemächtigen sich der technischen Ablagen des Flugplatzes und sperren alle Techniker ein. Etwa zur gleichen Zeit ereignet sich dasselbe auch auf den Flughäfen von Bratislava und Mährisch-Ostrau.
Knapp zwei Stunden später, um 23:20 Uhr, überschreiten bei Zinnwald im Erzgebirge sowjetische und DDR-Truppen die tschechoslowakische Grenze. Die Besetzung des Landes durch Truppen des Warschauer Paktes hatte begonnen.
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