UNO-Tribunal klagt bekannten Kosovo-Journalisten an

Fataler Handwerksfehler

Während das Den Haager Kriegsverbrechertribunal kürzlich seine Anklage gegen Kosovos Ex-Premier Haradinaj fallen ließ, muss sich nun einer der bekanntesten Menschenrechtsaktivisten und unabhängigen Journalisten des Kosovo ebendort verantworten.

Ramush Haradinaj, ehemaliger UCK-Kommandant und bis 2005 kosovarischer Premierminister ist vom Den Haager Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) wegen des Rücktritts wichtiger Zeugen freigesprochen worden. Mitverantwortlich für die Freilassung vom 3. April 2008 ist unter anderem ein Journalist, der bisher im Westen als einer der bedeutendsten, unabhängigen Kriegsberichterstatter, Zeitungsherausgeber und Meinungsmacher aus dem Kosovo galt.

Ex-Chefredakteur der "Koha Ditore" angeklagt
Baton Haxhiu hat eine aufregende Journalistenkarriere hinter sich: Der kosovarische Intellektuelle war Herausgeber der seit 1997 bestehenden unabhängigen Zeitung "Koha Ditore", die er gemeinsam mit anderen zur Zeit des Kriegs 1999 aus dem mazedonischen Untergrund weiterführte und dort kostenlos in Flüchtlingslagern verteilte.

Die Flucht aus dem Kosovo gelang ihm nur deshalb, weil im März 1999 ein Nato-Sprecher aus Brüssel seine Ermordung durch serbische Milizen verlauten ließ. Verkleidet als Ehemann und Vater einer fremden Frau und deren Kind schaffte er es nach Mazedonien, widerrief die Meldung persönlich im Fernsehen und berichtete, den Übergriff serbischer Polizisten auf seine Zeitungsredaktion in einem Keller in Pristina überlebt zu haben.

Er bekam internationale Auszeichnungen wie den Press Freedom Award 1999 für seine Arbeit als unabhängiger Journalist und war lange Zeit Mitarbeiter für die Deutsche Welle. Auch die Tageszeitung "Express", deren Direktor er heute ist, gilt als eine der seriöseren Zeitungen des Kosovo.

Haxhiu veröffentlichte geschützte Zeugenidentität
Doch am 19. Mai 2008 ist der heute 42-jährige vom UNO-Kriegsverbrechertribunal verhaftet worden und muss sich für einen "Handwerksfehler" verantworten:

Haxhiu hatte im Dezember 2007 in einem Artikel Namen und Identität eines geschützten Zeugen preisgegeben, der im UN-Kriegsverbrecherprozess des ICTY gegen den früheren Premierminister Ramush Haradinaj aussagen sollte.

In seiner damaligen Reportage berichtete Haxhiu über den früheren Kulturminister Astrit Haraqija und dessen Berater Bajrush Morina, die einen Zeugen unter Druck setzten, nicht gegen Haradinaj auszusagen. Beide wurden ebenfalls angeklagt, befinden sich im Gegensatz zu Haxhiu jedoch bis zum Prozess am 16. Juni 2008 auf freiem Fuß.

Mangel an Zeugen gegen Ramush Haradinaj
Nach der Veröffentlichung seines Namens trat jener Zeuge zurück. Er war nicht der erste. Der gesamte Prozess gegen Haradinaj war geprägt von massiver Zeugeneinschüchterung. Von 81 Zeugen mussten die Identitäten von 34 Personen geschützt werden, weit mehr als normal. 18 Zeugen mussten zur Aussage gezwungen werden, vier wurden wegen hartnäckiger Aussageverweigerung angeklagt.

Haradinaj wurde vom Gericht aus Mangel an Beweisen freigesprochen, nachdem zahlreiche Zeugen ums Leben kamen oder massiv eingeschüchtert wurden. Angeklagt war er wegen Verbrechen gegen serbische Zivilisten und albanische Gegner der UCK von 1998-1999. Die Ankläger verlangen eine Wiederaufnahme des Verfahrens wegen massiver Einschüchterung von Zeugen.

Im Unterschied zu den anderen fünf wegen Verletzung des Zeugenschutzes angeklagten Kosovo-Albanern hat Haxhiu jedoch die Biografie eines Menschenrechtlers und Völkerverständigers. In der Vergangenheit trat er selbst als Zeuge auf, unter anderem im Verfahren gegen den früheren serbischen Führer Slobodan Milosevic.

Identitätsenthüllung war "Handwerksfehler"
Bei seiner Vernehmung am 21. Mai im Vorfeld des Prozesses gegen ihn plädierte Haxhiu auf "völlig unschuldig". Das Gericht beschuldigt ihn, bewusst die Identität des geschützten Zeugen in einem von ihm veröffentlichten Artikel preisgegeben zu haben. Freunde von Haxhiu halten eine heimliche Verschwörung Haxhius mit dem Ex-Premier Haradinaj für unwahrscheinlich und vermuten einen unbeabsichtigten Handwerksfehler, so die deutsche Tageszeitung "taz" vom 22. Mai 2008.

Seine Verhaftung kritisieren auch die Reporter ohne Grenzen (ROG) als unnötig: Schließlich habe sich Haxhiu, der am 19. Mai 2008 von der Klage des UN-Tribunals in Kenntnis gesetzt wurde, stets kooperativ gezeigt. "Es ist verständlich, dass das ICTY einen Journalisten verhören will, der gegen die Zeugengesetze verstößt, aber wir verurteilen die hierfür angewandten Methoden", hieß es seitens der internationalen ROG-Sektion.

Die maximale Strafe im Fall einer Klage durch den ICTY betragen für Haxhiu 100.000 Euro oder sieben Jahre Haft.

Links
ICTY
University of Pittsburgh - ICTY indicts journalist ...
taz - Journalist patzt, Prozess platzt
Reporters Without Borders
International Herald Tribune - Kosovo newspaper editor pleads not guilty ...

Übersicht

  • Europa medial