Physikalische und Rehabilitationsmedizin

From Cell to Society

Die Physikalische und Rehabilitationsmedizin gewinnt immer mehr an Bedeutung. Denn durch Verfahren wie der Elektromyografie, mit der man die elektrische Aktivität während einer Muskelkontraktion sichtbar machen kann, erhält sie neue Möglichkeiten.

Nachdem die Physikalische und Rehabilitationsmedizin lange Zeit im Schatten der Akutmedizin (Chirurgie, Onkologie, Infektiologie, Interne etc.) gestanden ist, tritt sie nun zunehmend aus deren Schatten heraus. Nicht zuletzt, so Veronika Fialka-Moser anlässlich des Europäischen Kongresses für Physikalische und Rehabilitationsmedizin, der vergangene Woche in Brügge/Belgien stattgefunden hat, nicht zuletzt, weil es zu einem Gutteil die Akutmedizin selbst ist, die nach therapeutischen Maßnahmen Patienten und Patientinnen mit funktionellen Beeinträchtigungen und Behinderungen "hinterlässt". Mit Beeinträchtigungen und Behinderungen, die nicht nur die Lebensqualität einschränken, sondern mitunter eine Bewältigung des Lebensalltages verunmöglichen.

Wiederherstellung der Funktionalität

In diesem Sinne war das Motto des Kongresses "From Cell to Society" sehr bewusst gewählt, sagte Kongresspräsident Guy Vanderstraeten von der Universitätsklinik Gent/ Belgien.

"From Cell to society" bedeute, dass man, wenngleich von den zellulären Ursachen einer Krankheit ausgehend, das Augenmerk verstärkt darauf lenken wolle, welche Auswirkungen bestimmte Krankheiten oder Beeinträchtigungen auf das tägliche Leben der Betroffenen haben. Denn das "oberste Ziel" der Physikalischen und Rehabilitationsmedizin sei, der Patienten Funktionalität soweit wie möglich wieder herzustellen und sie so gut wie möglich wieder in die Gesellschaft zu integrieren.

Evaluierung der Behandlungsstrategien

Menschen mit angeborenen neuromuskulären oder neurodegenerativen Erkrankungen, mit chronische Schmerzen aufgrund von Fehl- oder Überbelastungen des Stütz- und Bewegungsapparates, Unfallsopfer, Patienten und Patientinnen nach Schlaganfall oder therapeutischen Akutmaßnahmen, die zu Funktionseinbussen geführt haben: die "Klientel" der Fachrichtung Physikalische und Rehabilitationsmedizin ließe sich noch beliebig fortsetzen.

EU-weit leben nach Veronika Fialka-Moser allein in der EU 50 Millionen Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen. Die Fachrichtung reagiere darauf mit einer Intensivierung der Forschung und einer verstärkter Evaluierung bisheriger Behandlungsstrategien.

Die Elektromyografie

Einer der Durchbrüche in der Physikalischen Medizin ist die Etablierung der sogenannten Elektromyografie (EMG). Sie ermöglicht die elektrische Aktivität während einer Muskelkontraktion sichtbar zu machen, die Nervenleitgeschwindigkeit zu messen. Diese Parameter geben Aufschluss darüber, ob eine Muskelfunktion normal oder gestört ist, ob und wie sehr - etwa nach einem Unfall - Nerven verletzt sind.

Durch EMG lasse sich besser als mit anderen Methoden der tatsächliche Ausgangspunkt eines Schmerzes lokalisieren, denn es könne durchaus sein, so Ralph Buschbacher von der Universität von Indiana, dass man einen Schmerz in der Zehe verspüre, dieser Schmerz aber vom Nacken oder sonst einer Körperstelle komme, an die man gar nicht sofort gedacht habe.

Mit Elektromyografie kann man darüber hinaus bei Kindern, die während der Geburt einen Riss im Nervengeflecht des Rückenmarks erlitten haben, das Ausmaß der Schädigung und das Regenerations-potenzial eruieren. Und die Wissenschaft beginnt durch die Möglichkeiten der EMG zunehmend besser zu verstehen, wie das Gehirn die Muskeln steuert und wie sich die dahinter stehenden Kontrollmechanismen mit zunehmendem Alter verändern.

Eine besondere Herausforderung sieht die Wissenschaft darin, Möglichkeiten zu finden, in die sich verändernde Muskelkontrolle einzugreifen, damit Menschen auch im Alter die Alltagsanforderungen gut meistern und so eine Steigerung ihrer Lebensqualität erfahren können.

Hör-Tipp
Dimension, Mittwoch, 11. Juni 2008, 19:05 Uhr