Hijab als Dresscode

Islam in Europa

"7/7" ist das Kürzel, das weltweit daran erinnert, dass Selbstmordattentäter im Sommer vor drei Jahren in Londoner U-Bahnen und Bussen Bomben explodieren ließen. Spätestens seit dem 7. Juli 2005 steht der Islam auch in Europa unter Generalverdacht.

In der Hitze des Gefechts medialer und politischer Feindbildproduktion wird selten zwischen Islamismus und Islam unterschieden. "Die Religion wird von den Islamisten als Ideologie missbraucht", meint Ed Husain, Autor des Bestsellers "The Islamist", in dem der 32-Jährige seine Erfahrungen mit dem politischen Islam veröffentlichte. Bereits als Teenager engagierte sich der Londoner aus pakistanischer Familie - zum Entsetzen seiner liberal eingestellten Eltern - für islamistische Gruppen.

Muslim und Europäer

Als Student schloss er sich "Hizb-ut-Tahrir" an, einer Bewegung, die die Errichtung eines weltweiten Kalifats für alle Muslime propagiert. Heute tritt Ed Husain offensiv gegen demokratiefeindliche und extremistische Strömungen auf und hat im April gemeinsam mit seinem Weggefährten Maajid Nawaz einen "Think-Tank" zur Förderung eines westlichen Islams gegründet.

"Wir können beide Seiten kritisieren, denn wir verkörpern beides, wir sind Muslime und wir sind Europäer", so Maajid Nawaz im Interview mit dem Ö1 Radiokolleg. Was dem dynamischen Briten heute so leicht und überzeugend über die Lippen kommt, musste er sich hart erarbeiten. Seine Eltern gehören der wohlhabenden Mittelschicht an, trotzdem spürte er als Jugendlicher in den 1990er Jahren, dass er nicht "dazugehört". Rassismus und Ausgrenzung trieben das Enkelkind pakistanischer Zuwanderer in die Hände der politischen Islamisten, die mit anti-westlicher Rhetorik auf alle Fragen eine Antwort boten und ihn auch gruppenintern mit Führungsfunktionen ausstatteten.

In Ägypten wurde er 2001 als Hizb-ut-Tahrir-Aktivist verhaftet. Amnesty International adoptierte den britischen Studenten als Gewissensgefangenen. In der Haft widmete sich Maajid Nawaz dem traditionellen Islam und kam zur Einsicht: "Wie das Christentum ist auch der Islam eine Religion, er umfasst moralische Richtlinien für das Leben, aber keine Anleitung für das politische oder wirtschaftliche System eines Staates."

Pluralismus und Respekt

Ed Husain und Maajid Nawaz haben ihre neu gegründete Stiftung nach dem Engländer Abdullah William Quilliam benannt, der von 1856 bis 1932 lebte, zum Islam konvertierte, die erste Moschee in Liverpool gründete und sich im sozialen und kulturellen Leben engagierte. In dieser Tradition wollen die beiden einen Islam fördern, der sich auf Werte wie Pluralismus und Respekt stützt. "Wir gehören zu Europa und wollen zeigen, dass unsere Religion für das moderne Leben relevant ist."

In Zeiten des "War on Terror" und der damit einhergehenden "Islamophobie" eine doppelt wichtige Aufgabe. Denn auf Seiten der Mainstream-Gesellschaft verstellen stereotype Bilder den Blick auf den modernen Islam zwischen "Umma" (der religiösen Gemeinschaft aller Muslime) und "global culture". Kopftuch und "Hijab" (eine Bekleidung, die den Körper bis auf Hände und Gesicht bedecken soll; Anm. der Red.) werden immer noch - auch in progressiven und feministischen Kreisen - als Symbole der Frauenunterdrückung betrachtet.

Zwischen Religion und säkularem Rechtsstaat

Doch die Jungen - in London vor allem die zweite und dritte Generation der Einwandererfamilien aus Pakistan oder Bangladesch - entdecken und reaktivieren den Islam als kulturelles Kapital im Kampf um Anerkennung. Für sie ist die Kopfbedeckung ein widerständiger Dress-Code und sichtbares Bekenntnis zur Andersartigkeit.

Das Zurschaustellen religiöser Zugehörigkeit ist längst nicht mehr nur fundamentalistischen und extremistischen Gruppen vorbehalten. Für viele ist es ein selbstbewusster Ausdruck europäischer Wahl- und Meinungsfreiheit. Es sind auch die jungen Muslime, die als sozialisierte Europäer zwischen Religion und säkularem Rechtsstaat, zwischen Koran und Aufklärung Brücken schlagen.

Das Gemeinsam in den Vordergrund stellen

Ein Vorreiter des sogenannten europäischen Islams ist Tariq Ramadan, der an der Universität Oxford Islamwissenschaften lehrt und zahlreiche Bücher über Muslime im Westen geschrieben hat. Er nimmt die muslimischen Organisationen in die Pflicht und meint, dass sie sich mehr auf die Lebenssituation in den europäischen Einwanderungsländern einlassen müssten.

"Man ist nicht weniger Muslim, wenn man mehr Österreicher sein will." Außerdem müsse man endlich damit aufhören, ständig über kulturelle Unterschiede zu diskutieren. "Muslime, Christen, Juden, Agnostiker, Atheisten usw. sollten sich endlich zusammensetzen und darüber sprechen, was wir gemeinsam für eine gerechtere Gesellschaft tun können. Es ist interessanter, über die gemeinsamen Hoffnungen zu sprechen, als immer nur über die unterschiedliche kulturelle Herkunft."

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 16. Juni bis Donnerstag, 19. Juni 2008, 9:05 Uhr

Buch-Tipps
Ed Husain, "The Islamist: Why I joined radical Islam in Britain, what I saw inside and why I left", Penguin

"Islam in Sicht: Der Auftritt von Muslimen im öffentlichen Raum", Transcript

Katajun Amirpur, Ludwig Ammann (Hrsg.), "Der Islam am Wendepunkt: Liberale und konservative Reformer einer Weltreligion" Herder, Freiburg

Ludwig Ammann, "Cola und Koran. Das Wagnis einer islamischen Renaissance", Herder, Freiburg

Kahled F. Allam, "Der Islam in einer globalen Welt", Wagenbach


Lamya Kaddor, Rabeya Müller, "Der Koran für Kinder und Erwachsene", Beck;

William Montgomery Wyatt, "Kurze Geschichte des Islam", übersetzt von Gennaro Ghiradelli, Wagenbach

Bassam Tibi, "Die islamische Herausforderung. Religion und Politik im Europa des 21. Jahrhunderts", Primus Verlag

Michael Lüders, "Allahs langer Schatten. Warum wir keine Angst vor dem Islam haben müssen", Herder

Annemarie Schimmel, Hartmut Bobzin, Navid Kermani, "Auf den Spuren der Muslime", Herder

Navid Kermani, "Gott ist schön: Das ästhetische Erleben des Koran", C.H.Beck

Nasr H. Abu Zaid, Navid Kermani, "Ein Leben mit dem Islam", Herder

Fethulla Gülen "Grundlagen des Islamischen Glaubens", INID

Fethulla Gülen, "Sufismus", Fontäne Verlag

Links
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Ed Husain
American Public Media
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Tariq Ramadan