Islam in Europa

Der französische Religionsphilosoph Remi Brague

Die Diskussion um den Islam in Europa wird nicht immer mit dem gebotenen Wissen um ihn geführt. Informationsdefizite ortet Remi Brague auf mehreren Ebenen und auf vielen Seiten im schwierigen Prozess des Dialoges. Dabei wäre das Rezept ganz einfach.

"Wenn es zu einer Auseinandersetzung kommen würde, wäre es nicht nur eine Konfrontation zwischen Christentum und Islam als Religion, sondern auch als Kultur - in all ihrer jeweiligen Vielfalt", sagt der französische Religionsphilosoph Remi Brague.

Clash von Christentum und Islam

Die Diskussion um den Islam in Europa ist in vollem Gange. Nicht immer wird sie mit dem gebotenen fundierten Wissen um ihn geführt. Informationsdefizite ortet Remi Brague auf mehreren Ebenen und auf vielen Seiten im schwierigen Prozess des Dialoges: Die Christen hierzulande wüssten zu wenig über den Islam und sie wüssten auch nicht wirklich, wie sie mit dem Islam umgehen sollen. Anderseits gäbe es, so Remi Brague, kaum Muslime, die das Christentum wirklich gut kennen. Ein häufiger Fehler sei, "das Christentum" und "den Islam" als monolithischen Block und nicht in seiner kulturellen Vielfalt zu sehen, meint der französische Religionsphilosoph Remi Brague.

Remi Brague wurde 1947 in Paris geboren. Er studierte Philosophie, klassische Sprachen, später Hebräisch und Arabisch. Seit 1990 lehrt Remi Brague an der Sorbonne in Paris mittelalterliche und arabische Philosophie, seit 2002 ist er zudem Inhaber des "Guardini-Lehrstuhls für Philosophie der Religionen Europas" an der Universität in München und Gastprofessor an der Universität Boston in den USA.

Der universal gebildete Religionsphilosoph Remi Brague setzt sich in seinen Büchern und Studien verstärkt mit der Identität Europas, mit den Ursprüngen dieses Kontinents und mit seinen gegenwärtigen Krisen, die auch religiöse
Bezüge haben, auseinander. In seinen Büchern "Die Weisheit der Welt", "Das Europa der Religionen" und "Europa - Eine exzentrische Identität" beschäftigt sich Brague mit Ursachen und Wirkungen. Das Verhältnis Christentum und Islam in Europa nimmt dabei eine zentrale Rolle ein.

Belastendes Erbe mit Algerien

In Frankreich und in Deutschland, den beiden Ländern, in denen er vor allem lebt und arbeitet, sei die Situation grundsätzlich verschieden, meint der profunde Geschichtskenner Remi Brague.

Etwa neun Prozent der insgesamt 64 Millionen Einwohner Frankreichs sind Muslime, das sind etwa sechs Millionen Menschen. Viele von ihnen kommen ursprünglich aus Algerien. Die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen in seinem Heimatland hätten viel mit dem französischen Kolonialismus in Nordafrika zu tun. "Diese Menschen mussten sich - so sehen sie ihre Geschichte - vom französischen Joch befreien", sagt Remi Brague, "und haben deshalb oft ein sehr negatives Bild von Frankreich. Die Franzosen, das waren die Feinde, vor allem für die Algerier."

Deutsch-türkische Beziehungen

In Deutschland leben derzeit etwas mehr als drei Millionen Muslime, das sind etwa vier Prozent der insgesamt 82 Millionen Einwohner. Viele stammen aus der Türkei. In Deutschland sei die Geschichte ganz anders als in Frankreich, meint Remi Brague: "Denn die Türken waren schon zur Kaiserzeit mit den Deutschen verbunden und kämpften im Ersten Weltkrieg auf der gleichen Seite. Die gegenseitige Einschätzung ist deshalb sehr viel positiver - auch wenn diese historischen Hintergründe nicht alles im Zusammenleben von Christen und Muslimen in diesen Ländern erklären können."

Die Situation in Österreich

In Österreich sind die Muslime - anders als in den meisten Staaten Europas - eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft mit allen Rechten und Pflichten. Die Geschichte hat auch hier die Beziehung zwischen Christentum und Islam nachhaltig geprägt: Im Jahr 1878 ermächtigte der Berliner Kongress die Donaumonarchie, Bosnien-Herzegowina zu okkupieren. Die Folge: Etwa 600.000 Muslime zählten dadurch zu Einwohnern der k.-u.-k.-Monarchie.

Bereits im Jahr 1912 wurde in einem eigenen Gesetz der Anerkennungsstatus, die Garantie der freien und öffentlichen Religionsausübung und die innere Autonomie verabschiedet. Auf der Basis dieses Gesetzes wurde 1979 die staatliche Anerkennung einer islamischen Religionsgesellschaft in der Republik Österreich ausgesprochen. Heute leben etwa 400.000 Muslime unterschiedlicher Ethnien, kultureller Hintergründe und islamischer Richtungen in Österreich.

Wie konkret miteinander umgehen?

Die wechselseitigen Vorurteile zwischen "dem Westen" und "der islamischen Welt" reichen zurück in die Ära der Kreuzzüge und Türkenbelagerungen, sowie in die Kolonialzeit und haben konkrete Auswirkungen auf die Gegenwart.

Derzeit leben etwa 20 Millionen Muslime in Europa, oft in kinderreichen Parallelgesellschaften. Besonders seit dem 11. September 2001 wachsen auch europaweit Angst und Unverständnis. Remi Bragues "Rezept" für eine positive gemeinsame Zukunft, wie Christen und Muslime konkret miteinander umgehen sollen?

"Wie mit jedem anderen Menschen auch. Und zwar müssen wir die Moslems achten und lieben im Sinn einer christlichen Nächstenliebe. Das ist das Feld, auf dem ein echtes Gespräch sich entwickeln kann. Ein Gespräch nicht nur über theologische Themen, sondern in konstruktiver Weise über gemeinsam zu lösende Probleme wie das Leben in den Vorstädten und ähnliches. Wir müssen den Menschen und nicht notwendigerweise in erster Linie den Muslim sehen!"

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Hör-Tipp
Logos, 14. Juni 2008, 19:05 Uhr