Denkarbeit in Zeiten des Kriegs

Das schwere Erbe des Akademos

Kürzlich wurde dem serbischen Jusprofessor Kosta Cavoski die Einreise nach Bosnien-Herzegowina verweigert, weil er dem als Kriegsverbrecher gesuchten Radovan Karadzics nahe steht. Sein Fall zeigt die gesellschaftliche Verantwortung von Intellektuellen auf.

Der verwitwete, so Plutarch in seiner Theseus-Biografie, athenische König und griechische Held Theseus, entführte die 12-jährige wunderschöne Helena. Ihre Zwillingsbrüder Kastor und Polydeukes, gemeinsam als Dioskuren bekannt, drohten die Stadt zu zerstören, wenn Theseus ihre Schwester nicht freiließe. Um Athen zu retten, verriet der Heros Akademos (den Sagen ist nicht zu entnehmen, ob ihn der Verrat zum Helden gemacht hat, oder ob er schon vorher für irgendwelchen anderen Heldentaten bekannt war) das Versteck der jungen Helena und rettete so die Stadt vor der Zerstörung. Um 388 vor Christus wurde die Lichtung, wo er begraben wurde, von Platon erworben, der dort seine, nach dem Ort benannte, Akademische Schule gründete. Aus dieser Quelle speisten und speisen sich letztlich alle späteren "Akademien" und damit auch alle Akademiker/innen.

Man sieht schon an diesen mythischen Ursprüngen, dass die angesehenen Institutionen nicht über moralische Zweifel erhaben sind. Darf man seine Herrscher verraten und wenn ja unter welchen Bedingungen? Oder treffender gesagt: Darf man Wissenschaft im Namen der jeweiligen Wahrheiten, eben diesen Wahrheiten anpassen? Die Frage stellt sich bekanntlich noch heute in der Arbeit der stolzen Nachfolger Platons.

Die Grenzen der Wissenschaft
Besonders stark kommt das zu Geltung in der Arbeit solcher Institutionen in Süd-Osteuropa ist. Herausragendes Beispiel war das sogenannte SANA-Memorandum (SANA ist die Abkürzung der serbischen Akademie der Wissenschaften), das von der serbischen Akademie in der Periode von 1982 bis 1986 bearbeitet wurde und das man nachträglich als einen geistigen und ideologischen Wegbereiter für den Zerfall Jugoslawiens bezeichnet hat. In Fällen wie diesen ist sehr schwer nachzuvollziehen, wie sich die "rein wissenschaftliche" Arbeit von den "politischen" Tätigkeiten unterscheiden lässt.

Neben Akademikern finden sich natürlich auch andere Intellektuelle wie zum Beispiel Künstler, Journalisten, Wissenschaftler und Möchtegern-Experten verschiedener Gattungen berufen, die Wahrheiten ihres Volkes oder was sie als die wahre "Wahrheit" sehen, zu schützen. Dass man in einigen Fällen ein Auge zudrücken sollte, nimmt man als selbstverständlich und wissenschaftlich und künstlerisch legitim hin.

Die Grenzen des Journalismus
Vor einiger Zeit wurde in Kroatien eine heftige Diskussion über die Rolle einer kroatischen Journalistin geführt, die während des Krieges (1992-1995) in Bosnien-Herzegowina angeblich mit ihrem TV-Team aufgenommen hat, wie bosnische Soldaten von kroatischen Einheiten abgeführt worden siind. Erst 2008 wurden die Leichen dieser Männer entdeckt und begraben. Der Journalistin wurde vorgeworfen, dass sie über deren Tod die ganze Zeit Bescheid gewusst habe und doch die ganze Geschichte verschwiegen habe.

Die Journalistin rechtfertige sich damit, dass sie nur ihren Auftrag erfüllt hätte und damit, dass der Krieg ein schlimmer Zustand sei, "in dem die Journalisten versuchen, ihr Bestes zu tun."

In den Berichten und Kommentaren über die Arbeit des Kriegsverbrechenstribunals in Den Haag kann man klar sehen, wie manche Journalisten ihre Rolle missbraucht hatten. In letzten Jahren wurden von dem Tribunal mehrere kroatische Journalisten wegen Veröffentlichung geheimer Dokumenten angeklagt. Der jüngste dieser Fälle ist der des kosovarischen Journalisten Baton Haxhiu.

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Kein Ende in Sicht
Vergleichbare Fälle - auch bei Künstlern, Schauspielern und andere Kopfarbeitern - würden ganze Bücher füllen; zum Beispiel der des Rechtsgelehrten der Uni Belgrad, Kosta Cavoski. Ihm wurde jüngst, wie bosnischen und serbischen Medien berichtet hatten, die Einreise nach Bosnien-Herzegowina untersagt, weil er angeblich einem Netz von Helfern des als Kriegsverbrecher gesuchten Radovan Karadzics angehört.

Cavoski ist als außerordentlicher Professor an der juristischen Fakultät der Universität in Pale tätig. "Diese schöne Ortschaft, etwa 20 km von Sarajevo entfernt, ist im letzten Dezennium des 20. Jahrhunderts, während des blutigen Bürgerkrieges 1992-1995, weltweit bekannt geworden. In diesem Krieg musste das serbische Volk seine nationalen Rechte schützen. In dieser Zeit ist Pale, zeitweilig, Hauptstadt der Republika Srpska geworden", steht auf der offiziellen Website der damaliger Hauptstadt. Hier hatte Radovan Karadzic seinen Sitz.

Cavoski selber hat nie negiert, dass er immer noch Kontakte mit der Familie von Karadzic pflegt und dass er Radovan Karadzic noch immer als seinen Freund bezeichnet. Anderseits, kann man auf der Website von EUFOR lesen – das sind die Einsatzkräfte der Europäischen Union, an denen auch auch Österreich beteiligt ist -: "Wir wissen, dass Herr Kosta Cavoski Mitglied eines Komitees ist, das sich als Ziel gesetzt hat, die Wahrheit über Radovan Karadzic zu verbreiten. Wir glauben, dass Herr Cavoski seine Verbindungen in Pale nützt, um dem fliehenden Karadzic zu helfen."

Wenn Herr Cavoski die Kontakte mit der Familie von Karadzic hätte, konnte das als seine private Angelegenheit gelten. Wenn er, aber, noch immer mit Radovan Karadzic Kontakt hält, dann hilft er direkt einem von der internationalen Gemeinschaft verdächtigten und angeklagten Kriegsverbrecher.

Cavoski ist schon seit langem für seine vehemente Kritik des UNO-Tribunals in Den Haag bekannt und lässt keine Gelegeneheit aus, dem Gericht die Legitimität abzusprechen.

Seine Argumente kann man in einer Serie der Artikel nachlesen, die er unter den Titel "Unjust from the start... auf einer Website mit dem bezeichnenden Titel "The Emperor’s New Clothes" veröffentlich hat.

Man kann diesem Tribunal vieles vorwerfen, aber man darf nie vergessen, dass es von der UNO eingesetzt worden ist und von meisten Staaten der Welt anerkannt wird.

Mit seiner akademischen Autorität, kann er seine "Wahrheiten" als wissenschaftliche und damit nicht in Frage zu stellende Behauptungen darstellen. Dass Radovan Karadzic der meist gesuchte und von der UNO angeklagte Kriegsverbrecher ist, interessiert, angeblich, den Professor nicht.

Leider ist Cavoski kein Einzelfall. In jedem Staat des ehemaligen Jugoslawien gibt es solche Intellektuelle, die ihre Rolle im Leben ihrer Gesellschaft als Kämpfer für "ihre Wahrheiten" sehen und dann auch bereit sind, ein Auge zuzudrücken. Das Beispiel des alten Akademos lebt weiter. Was bleibt ist die Frage: Darf man ein bisschen lügen oder nicht?

Links
EUFOR - Kosta Cavoski
The Emperor’s New Clothes