Die Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts

Der Kampf um die Zweite Welt

Parag Khannas Buch über den Kampf um die Zweite Welt ist eine eindrucksvolle Studie, wie sich Geopolitik zu Beginn des neuen Jahrhunderts darstellt, denn die Unterschiede zwischen Erster und Zweiter Welt beginnen zu verschwinden.

Lange Zeit war die Weltordnung stabil und schien unveränderlich. Anhand von Größe, Stabilität, Wohlstand und Weltanschauung ließen sich die Staaten klassifizieren. Da gab es die reichen Länder der Ersten Welt und die instabilen, armen Länder der Dritten Welt. Auf Erstere richtete die Wirtschaft ihr Interesse, auf letztere die Hilfsorganisationen. Die dazwischen liegende "Zweite Welt" wurde hingegen lange Zeit kaum beachtet.

Der Terminus "Zweite Welt" bezeichnete einstmals das "sozialistische Sechstel" der Erdoberfläche und dann für kurze Zeit die postkommunistischen Transformationsländer; anschließend verschwand der Terminus dann immer mehr aus der öffentlichen Diskussion.

Und das sei ein Fehler, meint der US-Journalist Parag Khanna. Schließlich gebe es heute immer mehr Staaten, die den Kriterien für ein Zweite-Welt-Land entsprechen.

Weltmacht China

Diese Länder werden zunehmend mächtiger. China zum Beispiel ist noch immer ein Land der Zweiten Welt, aber unbestritten eine Weltmacht. Die USA hingegen drohen ein Zweite-Welt-Land zu werden, konstatiert Parag Khanna. Das Schlagwort "Imperiale Überdehnung" fällt in letzter Zeit immer öfter, wenn es um den Zustand der Vereinigten Staaten geht. Zu viel Krieg, zu hohe Staatsschulen, zu geringes Wirtschaftswachstum.

Die USA werden vielleicht anders als Rom nicht von den Barbaren gebrandschatzt werden, aber wie beim spanischen Kolonialreich erzeugt ihre Abhängigkeit von ausländischen Finanzmitteln und abtrünnigen Verbündeten eine Instabilität und Krisenanfälligkeit, gegen die kaum ein Kraut gewachsen ist.

Der Anteil der USA an der Weltwirtschaft ist seit dem Zweiten Weltkrieg von 50 Prozent auf 25 gesunken. China und Japan halten zusammen die größten US-Dollar-Reserven, was zur Folge hat, dass zum ersten Mal in der Geschichte die wichtigste Weltwährung aus einem Land stammt, das eine Schuldnernation ist – und dazu noch gerade bei seinen Rivalen tief in der Kreide steht.

Neues Kräftedreieck

Parag Khanna hat für sein Buch die Länder der Zweiten Welt bereist und dort mit Beamten, Wissenschaftern, Journalisten, Taxifahrern und Studenten gesprochen. Durch diese intensive Recherche, die ihn um die ganze Welt führte, gelingt es ihm zu zeigen, wie die Länder sich selbst sehen. Dabei verliert Khanna aber nie den Blick auf die machtpolitischen Aspekte. Wenn er über die Ukraine oder Kasachstan schreibt, dann schreibt er immer auch über Russland. Wenn er über den Nahen und Mittleren Osten berichtet, dann sind das immer auch Texte über das Verhältnis dieser Länder zu den drei Supermächten: USA, EU, China.

Dieses neue Kräftedreieck hat die internationale Politik nachhaltig verändert. Am besten lässt sich das in Lateinamerika beobachten. Schon seit jeher hatten die USA massive Interessen in der Region. Sie unterstützten die lateinamerikanischen Rechten, die sich über dreißig Jahre hinweg einen schmutzigen Krieg mit den Linken lieferten. Die USA sahen Südamerika und Mittel-Amerika als ihren Hinterhof und dort sollte niemand anderer spielen als sie. Nun aber nimmt der chinesische Einfluss in dieser Region mehr und mehr zu. Chinas Anziehungskraft für Lateinamerika besteht darin, dass es eine Supermacht ohne koloniale Pläne ist.

China in Lateinamerika

Die Supermacht China will vor allem eines: gute Geschäft machen. Das chinesische Handelsvolumen mit Lateinamerika ist von 200 Millionen Dollar anno 1975 in nicht einmal dreißig Jahren auf 50 Milliarden Dollar gestiegen. Kein Entwicklungsland kann es sich leisten, die hohen Preise auszuschlagen, die China für Grundstoffe wie Sojabohnen oder Eisenerz bezahlt.

Als die USA 1997 die Kontrolle über den Panamakanal aufgaben, verkaufte die Regierung Panamas schon bald die Rechte für das Betreiben von Häfen an beiden Ende des Kanals an eine chinesische Firma, die heute den Kanalbetrieb weitgehend kontrolliert. Im Jahre 2006 stimmten die Bürger Panamas für den Ausbau des Kanals, damit er von den immer größeren chinesischen Tankern befahren werden kann.

Eindrucksvolle Studie

Parag Khannas Buch über den Kampf um die Zweite Welt ist eine eindrucksvolle Studie, wie sich Geopolitik zu Beginn des neuen Jahrhunderts darstellt. Genau recherchiert und mit umfassendem Wissen gelingt es ihm zu zeigen, wie sich die neue Weltordnung gerade auszuformen beginnt, eine Ordnung, in der die ehemals belächelten Länder der Zweiten Welt eine herausragende Position einnehmen, wobei die Unterschiede zwischen Erster und Zweiter Welt zu verschwinden beginnen. Oder wie es Ralf Dahrendorf ausdrückte: "Die Erste und die Zweite Welt verschmelzen wieder zu etwas, was noch keinen Namen und keine Zahl hat."

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Parag Khanna, "Der Kampf um die Zweite Welt", aus dem Englischen übersetzt von Thorsten Schmidt, Berlin Verlag

Links
Parag Khanna
Berlin Verlag - Der Kampf um die Zweite Welt