Den Horror von der Seele schreiben

Mehr als Bekenntnisliteratur

Es steckt viel Bewältigungsarbeit in den Büchern über das Unfassbare, wenn ehemalige Kindersoldaten und -soldatinnen über ihr Leben als Tötungsmaschine berichten. Und es gibt Autoren, die sich dieser Art von Grauen literarisch nähern.

Es dauerte lange, bis die Weltöffentlichkeit diese Tatsache realisiert hat: In faktisch allen Krisengebieten der Erde werden Kinder zu Soldaten gemacht, werden Kinder gezwungen, zu töten, den War Lords als billigstes Kanonenfutter zu dienen. Anfang dieses Jahrhunderts tauchten dann die ersten Erinnerungen auf. Junge Erwachsene schrieben sich die Qual von der Seele.

Jahrelange Qual

China Keitetsi war eine der ersten. Neun war sie, als man sie zwangsrekrutiert hatte, 1991 gelang ihr die Flucht. Dazwischen lagen Jahrhunderte der Qual, des Leids, der Angst. Das Entkommen war schwierig, langwierig, gefährlich. Dänemark wurde ihre neue Heimat, und dort lernte sie, ihren Schmerz, ihre quälenden Alpträume zu bannen: Sie schrieb nieder, was sie quälte. So entstand das Buch: "Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr. Mein Leben als Kindersoldatin”.

Mit Hilfe dieses Buches hat China Keitetsi gelernt, sich in einem neuen, selbstbestimmten Leben zurecht zu finden, einem Leben, aus dem dennoch die Angst nicht verschwunden ist. Im Traum erscheinen immer noch Gesichter befreundeter Kindersoldaten, die sich das Leben nahmen, die gefallen sind, Gesichter voller Verzweiflung. "Der Kampf, den ich heute führe, ist ein Kampf mit Worten. Alle Kinder sollen das Recht haben, in Unschuld aufzuwachsen. Kein Kind soll erleben müssen, das ich erlebt habe."

Normalität gibt es nicht mehr

Es gibt schätzungsweise 300.000 Kindersoldaten. Und nur wenige überleben. Noch weniger können zu einem "normalen Leben" finden. Wie die Berichte der wenigen zeigen, die darüber schreiben, gibt es Normalität nicht mehr. Die Vergangenheit ist nie bewältigt, bekennt Ishmael Beah in einem Interview. "Der Alltag kann Dinge hochschwemmen. Ein scharfer Ton. Jemand, der schnell vorbeirennt. Etwas, das ich in einer Unterhaltung sage. Dann kommen die Bilder wieder.”

Ishmael Beah musste drei Jahre lang in Sierra Leone kämpfen. Unicef-Truppen haben ihn und seine Kameraden befreit. Damals erlebten sie das aber nicht als Befreiung, im Gegenteil, sie wüteten und schlugen um sich. Ihrer Meinung nach hatte man sie um das letzte gebracht, was sie noch hatten: ihre Ersatzfamilie, die Truppe. Heute lebt er in Brooklyn und arbeitet bei Human Rights Watch mit, im Komitee, das sich für die Rechte der Kinder einsetzt.

Lieber in der Schule als töten lernen

China Keitetsi und Ishmael Beah wurden von regulären Soldaten zum Töten gepresst. Senait G. Mehari, Tochter eines eritreischen Vaters und einer äthiopischen Mutter, wurde vom eigenen Vater in eine Rebellentruppe gebracht. Ihr aller Schicksal nahm sich Ahmadou Kourouma zu Herzen und zum Vorbild: Für seinen Roman "Allah muss nicht gerecht sein" schuf er Birahima, den Waisen, der zum Kindersoldaten werden und, um zu überleben, töten lernen muss, obwohl er viel lieber in die Schule gehen würde.

Birahima ist auch die Hauptperson im nächsten, letzten, unvollendeten und noch unübersetzten Roman des großen alten Mannes der westafrikanischen Literatur: "Quand on refuse on dit non", frei übersetzt: Wenn man sich verweigert, sagt man nein. Birahima, mittlerweile Ex-Kindersoldat, schildert, wie der Bürgerkrieg in Côte d'Ivoire, der Elfenbeinküste, begonnen hat - eine Abrechnung mit Sékou Touré, dem Diktator aus Guinea. "Ich möchte dessen Verbrechen während des Kalten Krieges aufzeigen", erklärte Ahmadou Kourouma im Jänner 2003 in einem Interview für die "NZZ". Die Botschaft ist klar: Frieden. Und die Bitte an die Menschen: genauer hinschauen, nicht alles zulassen.

Aus der Kindheit herausgerissen

Der große Gegensatz zwischen seiner eigenen Kindheit und der von China Keitetsi erschütterte den jungen Studenten Uzodinwa Iweala so sehr, dass er einen Text aus seiner Highschool-Zeit herauskramte, in dem er schon einmal seine Bestürzung über das Phänomen Kindersoldaten niedergeschrieben hatte. Er begann auf Anregung seiner Lehrerin Jamaica Kincaid, zu recherchieren, ließ seine Verwandten, die den Bürgerkrieg in Nigeria miterlebt hatten, von den Kämpfen erzählen, las alles, was er über Kindersoldaten fand. Und schrieb schließlich die Geschichte von Agu, der aus einer glücklichen Kindheit herausgerissen und zur Bestie gemacht wird.

Von der US-amerikanischen Öffentlichkeit wurde er dafür als Shooting Star der Literatur-Szene gefeiert, was ihm natürlich sehr schmeichelte, wie Iweala in einem Interview erzählte - und gleich im Anschluss den guten Rat mitteilte, den ihm Salman Rushdie auf seinen Schriftstellerweg mitgegeben hatte: "Wenn du ihnen jetzt glaubst, dass du gut bist, musst du ihnen auch glauben, wenn sie schreiben, dass du schlecht bist!"

Service

China Keitetsi, "Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr: Mein Leben als Kindersoldatin", Ullstein

Ishmael Beah, "Rückkehr ins Leben", Campus Verlag

Senait G. Mehari, "Feuerherz", Droemer

Ahmadou Kourouma, "Allah muss nicht gerecht sein", Suhrkamp

Uzodinma Iweala, "Du sollst Bestie sein", Ammann

Human Rights Watch - Children's Rights
Time - Interview mit Uzodinma Iweala
Zeit online - Interview mit Ishmael Beah
Amnesty International

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