Wie man einander beeinflusst
Gemeinsamkeiten Theater und Fußball
Hinter den Mauern des Burgtheaters, in dem den ganzen Juni über kein Theater gespielt wurde, weil draußen Theater genug passierte, durfte sich die ballesterische Rede so äußern, wie der landläufige Bildungsbürger sich das vorstellt.
8. April 2017, 21:58
Der Fußball ist nicht nur jene Sache, um die herum ein Theater gemacht wird. Er ist ein solches auch. Im Wortsinn. Und deshalb passt der Fußball ja auch so gut nach Wien...
Naja, gut, okay...
Aber die strukturelle Verwandtschaft zwischen Theater und Fußball lässt sich in dieser Stadt doch so gut beobachten wie kaum woanders.
Nehmen wir nur dieses eine schöne Wort: Zubrunzen. Wir dürfen das nehmen. Es kommt ja aus Literaturnobelpreisträgerinnen-Mund und ist deshalb durchaus satisfaktionsfähig gegenüber dem Bildungsauftrag. Kollege Winder hat schon in seinem Wörterbuch auf derStandard.at die haarsträubende Jellinek'sche contradictio in adjecto gewürdigt, die in diesem Wort wohnt. Zuscheißen - jederzeit. Das kann man selbst machen oder von Tieren besorgen lassen wie weiland bei Peymanns Uraufführung von Bernhards "Heldenplatz”. Das geht. Jeder Chef kann das in Bezug auf die zu verteilende Arbeit. Das ist kein Problem. Aber eben nur mit Mist. Und nicht mit Gülle.
Menschen, die sich vor der Fußballeuropameisterschaft gefürchtet haben - und solche gab und gibt es ja auch außerhalb von Bezirksvorsteherinnenkreisen - werden sich wegen der zuvor gepflegten Wortwahl nicht vor den Kopf gestoßen fühlen. Zubrunzen, zuscheißen - so, so tief, so wenig gepflegt, ja: so überhaupt nicht gepflogen, wird der Fußball und alles, was damit zu tun hat, ja imaginiert.
Jetzt ist aber während dieser Europameisterschaft etwas passiert, was der Umkehrung aller Werte zumindest nahekommt. Man hat – nur zum Beispiel – beim Viertelfinalspiel zwischen Kroatien und der Türkei kroatische Fußballfans dabei beobachten können, wie sie auf der vielgeschmähten Wiener Fanzone vor dem ehrwürdigen Burgtheater türkischen Fußballfaninnen die Hand geküsst haben. Umgekehrt haben türkische Fußballfans kroatischen Fußballfaninnen zuliebe zum Slivovitz gegriffen. Und so setzte sich die Verbrüderung, Verschwesterung, Versöhnung und Vertöchterung fort, beinahe bis hin zur gegenseitigen Minne.
Und zwar nicht nur unter sich, sozusagen privat. Das deutsche Spiegel-TV hielt die Fußballbegeisterung beim exklusiv viewing im Burgtheater in Bild und Ton fest. Und die Begeisterung drängte sich richtiggehend und ausdrücklich vor die Kamera. Der Teamchef, der so was vom Fußballplatz her nicht gewöhnt ist, überlegte in einer ersten Reaktion die Einschaltung von Rechtsabteilungen. So, wie man Josef Hickerberger aber kennt, wird er das nicht tun. Denn jeder Fußballaffine weiß ja, dass die von keinerlei Kenntnis angerührte Ignoranz sich dann, wenn sie genügend in Alkohol getaucht wurde, eben in den Worten Goethes äußert und nicht in jenen der Paula von Preradovich.
Das Erstaunliche an diesem Burgtheaterpublikum war ja nicht, dass da Worte wie "Orschloch", "der kommt scho in mei' Gassn", nocheinmal "g'schissenes Orschloch" und nocheinmal, ganz ausdrücklich unter Hinterlassung zweckdienlicher Hinweise, "Hicke, trau die in die Kirchengass'n 35", das Erstaunliche an diesen intelligenten Wortmeldungen war ja nicht, dass sie gefallen sind, sondern wie. Dass da das exklusive Burgtheaterpublikum sich bemüßigt gefühlt hat, den Anlass am Schopf zu packen und sich sozusagen als jener Pöbel zu verkleiden, den man unmittelbar draußen, vor dem Burgtheater in der Fanzone, vermutete.
Aber das war schon der Grundirrtum des Rokoko und seiner Schäferspiele. Kein Fußball-affiner Mensch, ungeachtet der Promillegrenze, würde sich so äußern, ohne dem eine elaborierte Analyse folgen zu lassen. Wer Fußballfans für dumm hält und es auf Grund der Promillegrenze lustig findet, diese Annahme zu imitieren, findet sich eben flugs auf "Spiegel-TV". Denn die halten das aus markttechnischen Gründen wirklich für einen Heidenspaß, der ins Ösi-Bild passt, dass es nur so eine Freude ist.
Das war nicht die wichtigste Erkenntnis dieser Europameisterschaft. Aber eine Erkenntnis war es allemal. Das schnöselhafte Nasenrümpfen bei Worten, welche die alten Wolfgänger, Wolfgang von und Wolfgang Amadeus, gerne verwendet haben, ist ein für allemal beim Häusel runtergespült. Am Fußballplatz mag das Manierierte dann noch durchgehen. In den großen Theaterhäusern nicht mehr.
Darauf werden wir alle uns freuen dürfen. Auf den Feuilletonseiten wird man dann von "verbrunzter" Schauspielleistung lesen dürfen oder von "verschissener Inszenierung". Der Auftritt der österreichischen Nationalmannschaft bei dieser EM war in diesem Zusammenhang beinahe paradigmatisch für die nun folgenden Theaterkritiken: "ums Orschlecken nicht".
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Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 28. Juni 2008, 17:05 Uhr
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