Wenn das Publikum "Miau" schreit
Operette aus Wien
Direktor Johann Nestroy hat die Wiener mit "Orpheus in der Unterwelt" so sehr in Begeisterung versetzt, dass Wien seitdem neben Paris zum wichtigsten Betätigungsfeld für Offenbach wurde, der hier erst in den 1870er Jahren ernsthafte Konkurrenz bekam.
8. April 2017, 21:58
Die schier unerschöpfliche musikalische Erfindungskraft eines Johann Strauß war der Motor des Siegeszugs der Wiener Operette in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Die ersten Schritte gingen allerdings auf den Offenbach-Import aus Paris zurück, den die Wiener dem Theaterdirektor Johann Nestroy verdankten.
Heute gilt es als mutig, wenn ein Volksoperndirektor seine erste Spielzeit durch "Orpheus in der Unterwelt" einleitet, wie das Robert Meyer so erfolgreich getan hat.
Die Antike als Zerrspiegel
Damals gab Nestroy damit dem volksstückdominierten Wiener Musiktheater einen kräftigen Impuls, der beachtliche schöpferische Kräfte freisetzte. Und den mit einer Verwienerung des Imports aus Paris - als erster in der Donaumetropole - zunächst Franz von Suppé kreativ umsetzte. Schon 1860 mit dem Einakter Das "Pensionat", dem eine ganze Reihe seiner Operetten folgten, lange bevor Johann Strauß die erste schrieb: "Pique Dame", "Flotte Bursche", "Zehn Mädchen und kein Mann", "Leichte Kavallerie", "Banditenstreiche" und - Suppés Antwort auf die "die schöne Helena", Offenbachs Pariser Herausforderung mit antiker Thematik war "Die schöne Galathée".
Das blieb aber ein Einzelfall. Der antike Spiegel von Offenbachs Satiren des zweiten Kaiserreiches ließ sich nicht nach Wien transferieren und so wurde nicht der Witz des Librettos zum Zentrum des Stückes, sondern die Partituren gerieten schwungvoller, musikantischer, walzerseliger - und oft auch melodisch markanter. War die Wort-Musik Relation in Paris ausgewogen, so lag in Wien der Akzent mehr auf der Musik.
Jugendfreier Decamerone
1879 ist das Uraufführungsjahr von Suppés Boccaccio, seinem größten Erfolg mit der Serenade an die "schönen Frauen von Florenz". Da hatte Johann Strauss seine zweite Karriere, die des Operettenkomponisten bereits begonnen und so fleißig an den Textbüchern seiner beiden Librettisten, Zell und Genee gearbeitet, dass man dem ganzen Team das Etikett "Librettofabrik für die Musikfabrik" verpasste. Übrigens hat dieses erfolgreiche Autorenduo auch einige Libretti für Suppé geschrieben, darunter das zu "Boccaccio". Aber die Musik dieses gebürtigen Triestiners hatte für den Geschmack der Donaumetropole zu wenig Lokalkolorit. Sein Biograph Hans Dieter Roser meint: "Bei Suppé ist bis in die letzten Werke hinein der Atem Offenbachs zu spüren, wenn er nicht vom Herzschlag Donizettis übertönt wird."
Nur selten gelingt es ihm, seinen Melodien eine wienerische Note zu geben, wogegen gerade das Wienerische die Stärke von Johann Strauß gewesen ist und die Unverwechselbarkeit seiner musikalischen Sprache im Vergleich zu der Offenbachs der wahre Grund für den Vormarsch der Strauß-Operetten auch auf den internationalen Bühnen.
Berliner Plot
Bei seinem ersten Versuch, nach den Tanzböden auch die Bühne zu erobern, ließ er sich durch originelle Ideen inspirieren. Er basierte auf einer Berliner Komödie um den Eseltreiber Ali Baba aus "Tausend und einer Nacht", die ein ganzes Team von Textautoren für Wien umschrieb, in: "Indigo und die vierzig Räuber" - was boshafte Kritiker gleich auf die Wiener Bearbeiter und das noch nicht reglementiere Urheberrecht bezogen.
Der Inhalt ist noch stark an Offenbachs satirisch-politische Operetten angelehnt: König Indigo hat ein perfekt funktionierendes Besteuerungssystem eingeführt: Die Progression richtet sich bei Frauen nach dem Maß ihrer Schönheit und bei den Männern nach dem Maß ihrer Klugheit. Man lässt sich also gern besteuern, ganz im Gegensatz zum Finanzsystem in englischen Operetten, wo King Gama (Princess Ida) in seinem Auftrittscouplet von Sullivan erklärt, dass er das Einkommen jedes Untertanen kennt und sorgfältig überprüft, ob er es in der Steuererklärung auch richtig angibt. Und da wundert er sich, dass er als unangenehmer, als - "disagreeable man" - gilt.
Operette der Operetten
Welche die Oper der Opern ist, darüber gibt es lange Streitgespräche- aber in der Operettengeschichte ist die Vorherrschaft der "Fledermaus" unbestritten. Erstaunlich, dass der theaterfremde Tanzmusikkomponist schon beim dritten Versuch im neuen Genre ins Schwarze getroffen hat. Dabei war sicherlich die Wahl des französischen Lustspielstoffes "Le Reveillon" entscheidend.
Hier stimmte endlich alles. Dem Autorenduo Zell und Genee gelang eine geschickte Verwandlung französischen Charmes in wienerische Champagnerlaune. Genee, selbst Komponist, konnte helfen, die munter sprudelnden Strauß-Melodien fachkundig dem Text anzupassen. Und Strauß gelang es auch, die Ensembles kunstvoller aufzubauen, als bisher.
Premieren-Besucher als Zwischenrufer
Bald eilte Johann Strauß, der auch seine Bühnenwerke mit gewohnt wienerischem Schwung gern selbst dirigierte, von Erfolg zu Erfolg. Jetzt war er allerdings nicht mehr mit der Geige in der Hand, sondern mit dem Taktstock um die Koordination mit der Bühne bemüht. Einmal auch in Berlin. Mit der Uraufführung von "Eine Nacht in Venedig" wurde das Friedrich Wilhelmstädtische Theater 1883 wiedereröffnet. Der venezianische Karneval und dessen fröhliches Maskentreiben bestimmten die Handlung, es herrschte Mondscheinromantik auf dem Markusplatz, ein Lagunenwalzer in Schubert’scher Manier und viele musikalische "Frutti di mare" ergaben eine stimmungsdichte Partitur.
Nur ein Wehrmutstropfen vergiftete den Erfolg: Als der Lagunenwalzer noch mit dem ursprünglichen Text "Nachts sind die Katzen ja grau, nachts tönt es zärtlich miau" gesungen wurde, rief plötzlich jemand aus dem Publikum "Miau", worauf andere Miau-Rufe folgten und bald ein Sturm von Miau-Rufen die Vorstellung unterbrach.
Doch die Melodie gefiel. Strauss wiederholte sie ungeachtet der weiteren, hartnäckigen Miau-Begleitung und so kam die einzige Strauß-Uraufführung, die nicht in an der schönen blauen Donau, sondern an der Spree stattfand - doch noch über die Runden.
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Musikgalerie, Montag, 14. Juli 2008, 10:05 Uhr