Generationen-Lamento, mal anders

Merkt auf, Jung und Alt!

Ist das nicht peinlich, wenn erwachsene Männer mit Klapproller und Rucksäckchen durch die Stadt düsen? Wenn sich Vierzigjährige wie Girlies anziehen und dann noch die Qualitäten des Lovers lautstark per Handy und coram publico kommunizieren?

Dass die Alten über die Jungen meckern, ist nichts Neues. Das zieht sich durch die Jahrhunderte. Schon die alten Römer, nein, noch früher: die alten Griechen jammerten über den Sittenverfall, darüber, dass die Jungen keinen Respekt mehr zeigen, das alte Wissen gering schätzen und Ähnliches mehr. Und hätten die Steinzeitmenschen schon Tagebuch geführt, wer weiß, was für Unbotmäßigkeiten überliefert worden wären!

Da fällt mir ein: Sie hätten es ja zeichnen können. Wer weiß, ob die berühmte Jagdszene in der Höhle von Lascaux nicht eigentlich eine groß angelegte Beschwerde über die Jungen ist, die sich über die alten Regeln des Jagens hinweggesetzt und den Alten das Vorrecht des ersten Stichs streitig gemacht haben?! Stellen Sie sich vor, was es für einen Aufruhr gegeben haben könnte, als ein Junger des Rad erfunden hat! Ob er auch zunächst nicht beachtet, gar ausgelacht wurde? Oder beschimpft? Vielleicht ist er gar arm und verbittert in einem einsamen hinteren Eck des Gemeinschaftszelts gestorben, vielleicht haben erst die Jungen das sorgsam gehütete, verteufelte Rad-Ding gefunden und auf seine Nützlichkeit getestet. Macht es nicht Spaß, sich gedanklich in die Probleme anderer Leute zu versetzen?

Ich wundere mich immer, wenn ich Fotos aus der Anfangszeit der Fotografie sehe: die Dreißigjährigen damals sehen aus wie die Sechzigjährigen heute. Schlimmer noch: steinalt. Würdig. Genau, das ist das richtige Wort: Sie blicken sich ihrer Würde bewusst in die Kamera. Keinem von ihnen wäre es eingefallen, jünger aussehen zu wollen als sie waren, im Gegenteil, "mann" ließ sich Kinnbewaldung sprießen, nur um respektabler zu wirken. Heute dagegen? Da gibt es – besonders bei unseren Nachbarn – Fernsehmoderatoren seriöser Programme, "gestandene Männer", die sich nicht scheuen, ihre Haartracht so schräg legen zu lassen, wie sie einem Zwanzig-Minus schon gewagt vorkäme (und ich spreche nicht von Kabarettisten, deren Kopffell mitunter abenteuerliche Formen annimmt). Meinen besagte Herren, dass sie "auf cool getrimmt" jüngeres Publikum ansprechen???

Peinliche Ansichten bietet, nur weil es gerade dazu passt, auch die jetzt aktuelle Jahreszeit, nennen wir sie einmal Sommer, iss ja Juli. Das Urlaubsoutfit, igittigitt. Hauteng für die Dame, und kurz natürlich, bauchnabelfrei, vielleicht sogar mit Piercing? Dieser Anblick ist für mich schon bei den knackigen Mädels gewöhnungsbedürftig, umso unerträglicher bei umfänglicheren Ladys fortgeschrittenerer Jugend. Aber es gibt noch Grausigeres: die zugehörigen Herren, vor allem, wenn sie sich sportlich geben. Radfahrer aller Nationen, auch wenn Ihr hier Urlaub macht und durch unsere schöne Landschaft strampelt, müsst Ihr Euch wirklich so anziehen, als wäre der Stoff bloß aufgemalt? Bedenkt doch, Ihr radelt an scheuen Dorfjungfräuleinchen vorbei, die sich erschrecken und einen schwer behebbaren Dauerschaden für ihr zukünftiges Männerideal davontragen könnten! Abgesehen davon, dass es wirklich nicht sehr fein ist, leere Mineralwasserflaschen und anderen Müll hinter die Gartenzäune am Weg zu entsorgen!

Wie ist das nun: Wenn wir Alten bis ins gesetzte Alter mit dem blöden Spruch "Man ist so alt wie man sich fühlt - und ich bin seit meiner Matura nicht älter geworden!" unser Jugendlichengehabe rechtfertigen, wenn wir jede Menge Kohle, Mäuse, Penunse, Zaster, Moos, Kies ... na, Geld halt! für Anti-Aging-Produkte aller Art ausgeben (wobei auch Haarfärbemittel dazugehören, jaja, liebe Auch-Klimakteriums-rot-gefärbte Mitfrauen!), wenn wir partout nicht erwachsen werden wollen, was geben wir dann den Jungen für ein Streitbild vor? Wollen wir wirklich, dass uns eine Generation von Spießern folgt? Oder besteht diese Gefahr ohnehin nicht, weil ja die Bildung, die man in der Schule erwerben könnte, inzwischen zu den gefährdeten Kulturgütern gehört? Was erwarten wir eigentlich von unseren Jugendlichen, die bei dem Wort "Madonna" zuerst an eine Pop-Tante denken?

Unsere Nachbarn haben, so scheint es, mit ihren jungen und alten Jugendlichen mittlerweile ein wirkliches Problem. Und wie sie so sind, unsere Nachbarn im Westen, nennen sie das Kind beim Namen: Generation Doof. Zwei, die sich selber zur Generation Doof zählen, haben sich die Mühe, nein: den Spaß gemacht, das, was ihre Zeitgenossen so von sich geben, was sie denken oder auch nicht denken, wie sie leben und lieben, wie sie miteinander umgehen, aufzuschreiben. Das Ergebnis: ein kurzweiliges, gut 300 Seiten dickes Büchel, das die Befindlichkeit und Weltanschauung der 15- bis 45-Jährigen abbildet - wobei: Darf ich in diesem Zusammenhang überhaupt das Wort Weltanschauung verwenden, dieses philosophisch aufgeladene Wortungetüm, das in allen Sprachen der Welt als deutsches Fremdwort eingewandert ist?

Lesen Sie es ruhig, das Büchel. Betrifft eh unsere Nachbarn. Bei uns kommt so etwas nicht vor, dass jemand die Frage "Auf welchen Tag fällt heuer der Gründonnerstag" nicht beantworten kann! Bei uns kennt jeder den Unterschied zwischen Kanzler und Kanzel. Unsere Wissensdurstigen gehen erst dann ins Netz, um einen Begriff zu googeln, wenn das Lexikon zu kurz wird. Und bei uns sagen Gebildete schließlich auch nicht "Biermuskel" oder "Wampe", wenn sie "Embonpoint" meinen!

Buch-Tipp
Stefan Bonner, Anne Weiss, "Generation Doof. Wie blöd sind wir eigentlich?", Bastei Lübbe TB