Berlin in den 1970ern

Stadt mit Mauer

Berlin schien in den 1970er Jahren eine dunkle Faszination auf die Pop-Intelligenzia auszuüben. David Bowie und Iggy Pop produzierten legendäre Alben in der Stadt mit der Mauer, und Lou Reed widmete sogar eine ganze LP der Stadt: "Berlin".

Eine Detroit-Band, die Ende der 1960er Jahre durch eine besonders primitive, räudige Spielart des Rock'n'roll aufgefallen war, sind The Stooges, eine Proto-Punkband, wie man sie auch nicht besser erfinden könnte, die ihren rohen, räudigen, hart rockenden Pop-Bastard ohne Rücksicht auf Verluste zum zubeißen brachte.

Ein elementares, wie wohl oft zwiespältiges Erlebnis: die Live-Shows der Stooges. Im Zentrum ein schlaksiger, durchtrainierter, durchgeknallter Außerirdischer, der sich den nackten Oberkörper schon auch einmal ganz gern mit rohen Fleischstücken oder mit Erdnussbutter einrieb, nur um sich dann mit Glasscherben selbst zu verletzen - ein Grenzgänger, einer, der niemanden kalt ließ, ein extrovertierter, leidenschaftlich engagierter Performer, und ein Sänger des gefährlichen Untertons. Ein Unikat. Name: Iggy Pop. Da war recht schnell klar, dass dieser Mann das unausweichliche Zerschellen der Band an den eigenen Drogenproblemen und den äußeren Umständen des Marktes als einziger fast unbeschadet überleben würde.

Comeback mit "Idiot"

Iggy Pop konnte sich in der kritischsten Phase seiner Karriere, bereits schwer gezeichnet vom exzessiven Drogenkonsum, auf seinen Mentor David Bowie verlassen. Dieser hatte immer an das Potenzial seines Freundes geglaubt. Genau zum richtigen Zeitpunkt produzierte er 1976 das große Iggy-Pop-Comeback-Album "The Idiot".

Pop und Bowie lebten zu der Zeit in Berlin. Berlin-Schöneberg, Hauptstraße 155. Eine sehr intensive Zeit. Beide auf Heroinentzug, in der Stadt, die Bowie als die "Welthauptstadt des Heroin" bezeichnete. Bowie mischte sein legendäres "Low"-Album, das er mit Brian Eno eingespielt hatte, in den Berliner Hansa-Studios ab, er nahm das richtungweisende "Heroes"-Album in der Mauerstadt auf und inszenierte im Titelsong ein höchst bewegendes Thema: Zwei Liebende finden sich im Ost-West-Konflikt an der Berliner Mauer wieder.

In Soundtracks zweitverwertet

Die zwei Herren Bowie und Pop erreichen dann 1977 bei der Zusammenarbeit am Iggy-Pop-Album "Lust For Life" sogar noch einen besonders intensiven gemeinsamen Berliner Höhepunkt: sieben von neun Songs hat Bowie geschrieben, der Titelsong ist eine Kooperation der beiden Wahlberliner.

Die beiden Songs "Lust For Life" und "Heroes" wurden übrigens prominent zweitverwertet: als Soundtrack zu zwei einschlägigen Kino-Blockbustern. In beiden geht's um Drogen. Harte Drogen. Heroin. Bowies "Helden" nimmt eine zentrale Stelle in der Junkie-Dokusoap "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ein und Iggy Pops "Lust For Life" subsummiert äußerst treffend den Lebenszugang der kaputten Heldenclique im Film "Trainspotting".

Eine Stadt als Metapher

Berlin schien überhaupt in den 1970er Jahren eine dunkle Faszination auf die Pop-Intelligenzia auszuüben. Schon im Jahr 1973 veröffentlichte Lou Reed sein "Berlin"-Album, zu einem Zeitpunkt, da er die Stadt selber zwar noch nie besucht, aber bereits intuitiv ihr Potenzial als große Metapher erkannt hatte.

"Mein Berlin-Bild war hauptsächlich geprägt von Filmen und Büchern", erklärte Reed unlängst in einem Interview für den Berliner "Tagesspiegel". "Ich dachte an Christopher Isherwood, der in seinen Romanen die 1920er Jahre beschrieben hat, an den Schauspieler Peter Lorre, den Regisseur und Schauspieler Erich von Stroheim oder an Marlene Dietrich. Filme wie 'Nosferatu' und Stücke wie die 'Dreigroschenoper' hatten mein damaliges Bild von Deutschland und Berlin geprägt."

Symbol der Zerrissenheit

Auch die Berliner Mauer erkannte Reed aus der Ferne als Symbol. Er benutzte sie als Bild, um über innerlich zerrissene Menschen, die in getrennten Welten leben, zu sprechen. Lou Reed: "Berlin war für mich eine Metapher, die für Zorn, Eifersucht und Sprachlosigkeit stand." Entsprechend zornig, zerrissen und radikal klangen dann auch die Songs auf seinen "Berlin"-Album.

Die Öffentlichkeit reagierte irritiert bis geschockt auf das düstere Werk, in dem Reed gewalttätige Beziehungen, Drogenabhängigkeit und Prostitution thematisiert. Ein Kritiker bezeichnete das Album damals als die deprimierendste Platte, die er je gehört hatte, und Lou Reed selber wartete insgesamt 32 Jahre, bevor er das Werk zum ersten Mal live auf die Bühne brachte.

Abendfüllende Dokumentation

Von der fünftägigen Premiere in New York fertigte Regisseur Julian Schnabel einen abendfüllenden Dokumentationsfilm an und Schnabel war via Bühnenbild und Inszenierung auch an der "Berlin"-Produktion, die zuletzt beim JazzFest Wien im Gasometer zu sehen war, mitbeteiligt.

Später ist Lou Reed dann tatsächlich öfter in Berlin gesichtet worden. 20 Jahre nach dem Album sogar mehrer Wochen am Stück. Der Grund: Er drehte mit Wim Wenders den Film "In weiter Ferne so nah".

Hör-Tipp
Zeitmaschine, Sonntag, 27. Juli 2008, 21:15 Uhr

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