Verwirrungen und Verirrungen

Will wirklich niemand mehr CDs?

Wer das ständige Todjammern der CD-Branche mitverfolgt, wundert sich über den riesigen Output, der uns täglich beschert wird: Mit CD-Übertragungen alter LPs, Neuausgaben von mehrfach erschienenen Einspielungen, Rundfunkaufnahmen, Mitschnitten.

"Die CD ist tot. In 20 Jahren lösen sich CDs auf. Die Vinylplatte kehrt zurück." Solche und ähnliche Schlagzeilen verunsichern natürlich die Konsumenten. Doch die Krise am Tonträgersektor ist zum Großteil hausgemacht. Kaum ein Dementi zu all dem Unsinn erfolgt von den Industriefirmen, ihr einziges Heilmittel scheint ein gnadenloses Preisdumping.

Alle Karajan-Opern (an die 100 CDs) von einer seiner früheren Stammfirmen um einen Preis von zirka 100 Euro riecht nach hastigem Abverkauf des Familiensilbers und ist durch die lieblose Aufmachung eher dazu geeignet, die Interessenten abzutörnen. Noch dazu ausgerechnet im Karajan-Jubiläumsjahr.

Junge Künstler müssen zahlen

Liest man das alles, wundert man sich umso mehr über den gewaltigen Output, der täglich über die Klassik-Konsumenten hereinbricht. Da erscheinen trotz allem ständig Neueinspielungen aus allen Stilrichtungen, allerdings mit dem Pferdefuß, dass bis auf eine Handvoll hochgepushter Superstars die jeweiligen Künstler selbst die Produktionskosten übernehmen müssen. Und dabei quasi unlauter konkurrenziert werden von einer Armada legendärer Künstlerinnen und Künstler der Vergangenheit, deren Aufnahmen aufgrund ausgelaufener Rechte (manchmal auch schon früher) meist zu sagenhaften Schleuderpreisen auf den Markt geworfen werden.

Wo bleibt der Durchblick

Da gibt es von den ältesten Schellack- und Langspielplatten laufend neue Überspielungen, wichtige und weniger wichtige Aufnahmen erscheinen permanent in immer neuen Kopplungen und nicht selten findet sich selbst in Katalogen seriöser Firmen die eine oder andere Aufnahme in mehreren verschiedenen Ausgaben und auch in unterschiedlichen Preiskategorien, obwohl der einzige Unterschied in der Verpackung liegt. Wer blickt da noch durch?

Kultobjekt Schallplatte
Als ich begonnen habe, Platten zu sammeln, Ende der 1950er Jahre, da betrug mein bescheidenes Taschengeld gerade fünf Schilling im Monat. Eine 17-Zentimeter-Klassik-Single kostete damals, wenn ich mich richtig erinnere, an die 50 Schilling. Meine Vater verdiente im Monat etwa 1.500 Schilling und für Wagners "Götterdämmerung" auf sechs (!) LPs musste man knapp 1.200 Schilling hinblättern.

Keine Frage, die damals gekauften Platten sind heute noch Kult-Objekte für mich, obwohl längst auf CD und zu einem Pappenstiel erhältlich. Die Werte in dieser Branche haben sich tatsächlich gewaltig gewandelt und nicht unbedingt zum Vorteil der Konsumenten, geschweige denn der mitwirkenden Künstler, Techniker und Händler.

Verwirrungen und Verirrungen
Nicht einmal Experten sind heute in der Lage zu unterscheiden zwischen regulären Wiederveröffentlichungen, legalen Nachpressungen infolge Ablaufs der Schutzfrist, frechen Raubpressungen oder illegalen Nachpressungen von legalen Nachpressungen durch Verletzung des quasi "technischen Copyrights". Wobei diese Aufzählung lediglich die Spitze des Eisberges ist, die Liste der unmöglichen Möglichkeiten ließe sich noch lange fortsetzen.

Doch genug der Verwirrungen und Verirrungen, die Situation am Tonträgermarkt ist tatsächlich unüberschaubar geworden, ein Selbstreinigungsprozess innerhalb der Branche scheint vonnöten, dürfte aber kaum in Sicht sein, selbst wenn eine Ausweitung der 50-jährigen Schutzfrist auf 95 Jahre innerhalb der EU bereits in greifbare Nähe gerückt ist.

Original oder Kopie?
Auch professionelle (seriöse?) Kritiker sind längst überfordert. Anders scheint es kaum erklärbar, dass inzwischen bereits ganz offen als "Plattenüberspielungen" deklarierte Wiederveröffentlichungen hoch angepriesen, sogar weit über das Original gestellt und auch entsprechend teurer verkauft werden. Dabei lässt ein Parallelvergleich schon nach wenigen Sekunden das typische Nadelgeräusch der Platte erkennen, aber das wird offenbar bereits als "kostbare" Patina empfunden. Dabei müsste doch jedem Laien klar sein, dass eine vom Urband angefertigte CD einfach besser sein muss, als die Kopie einer Langspielplatte. (Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel, denn so manches Urband wurde gelöscht und davor nur unzulänglich kopiert; in diesem Fall kann die LP tatsächlich besser klingen.)

Ansonsten müsste man ja den Schluss ziehen, ein gut gemachtes Foto von Dürers berühmten Hasen wäre besser als das Original. Was aber ist dabei die Lehre für den Konsumenten? Hören, vergleichen, selbst urteilen! Schließlich soll es auch Kulturjournalisten geben, die einfach die Pressetexte der Produzenten Wort für Wort übernehmen. Aber vielleicht ist Letzteres wirklich nur ein böswilliges Gerücht.

Methusalem-CD
Was schließlich die Haltbarkeit von CDs betrifft, so mutet es wirklich merkwürdig an, wenn es einerseits als unzumutbare Katastrophe angesehen wird, sollte eine CD nach 20 Jahren wirklich plötzlich nicht mehr spielbar sein, anderseits aber wird sich niemand vom Kauf eines Paar Schuhes abhalten lassen, nur weil diese eventuell in 20 Jahren zerfallen werden. Dabei hat der amerikanische CD-Hersteller MAM-A Inc., der auch CDs für den medizinischen Bereich herstellt, in aufwendigen Test Haltbarkeitszeiten bis zu 300 (!) Jahren errechnet. Das sollte alle Zweifler beruhigen, selbst wenn unsere "gewöhnlichen" Industrie-CDs vielleicht nur 100 Jahre halten. Diese 100 Jahre aber sollte die Industrie vorbehaltlos garantieren - zumindest als Werbgag!

Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 19. August 2008, 15:06 Uhr