Der Weg des Reiches der Mitte
Der Wille zur Macht
Wenn die chinesische Führung sich - wie jüngst anlässlich der internationalen Proteste wegen Tibet - bedrängt fühlt, verfällt sie in eine rabiat nationalistische Diktion. Doch an der langfristigen Wirksamkeit diesen Nationalismus zweifeln Experten.
8. April 2017, 21:58
Eine an die Kulturrevolution gemahnende Sprache mit Ausdrücken wie "Der Dalai Lama ist ein Schakal in buddhistischer Mönchsrobe und ein böser Geist mit menschlichem Antlitz und dem Herz eines wilden Tieres" - Ausdrücke also wie sie die Führung der chinesischen Kommunistischen Partei in Bezug auf die Autonome Region Tibet verwendet hat - dienen weder dazu, die Lage zu entspannen, noch sind sie dem Image der chinesischen Regierung zuträglich. Da die chinesische Regierung sich zur Integration in die internationale Gemeinschaft bekennt, sollte sie einem Regierungsstil folgen, der den Standards der modernen Zivilisation entspricht. … Ein aggressiver Nationalismus wird nur Antipathie seitens der internationalen Gemeinschaft auslösen und Chinas internationalem Image schaden.
Diese Sätze entstammen einer von 29 chinesischen Schriftstellern, Intellektuellen, Künstlern und Anwälten unterzeichneten Petition, die Ende März dieses Jahres auf mehreren chinesischen Webseiten erschien. Die Petition wurde nach Chinas rabiater Reaktion auf die Proteste in Tibet Anfang März verfasst. Der Titel der Petition lautete: "Zwölf Vorschläge zum Umgang mit der Lage in Tibet."
Von internationalem Druck überrascht
Die Wortwahl der chinesischen Führung angesichts der Proteste in Tibet Anfang März erregte weltweit Verwunderung und Empörung. Erklären lässt sich diese aggressive Haltung der Pekinger Führung nur mit einer Tatsache, sagt Agnes Schick-Chen, Professorin am Institut für Sinologie der Universität Wien: Peking sei seinerseits von der Intensität des internationalen Drucks wegen Tibet überrascht worden. Selbst nach dem Schock über die blutige Niederschlagung der Studentenbewegung am Tiananmen-Platz in Peking im Juni 1989 hatte der Westen bei aller Kritik an China bald wieder seine eigenen wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund gerückt.
Man wollte "das Grundgefüge der Beziehungen mit China nicht zum Wanken zu bringen. Und dass das ausgerechnet jetzt vor Olympia passieren könnte, dass der Westen diesen Zeitpunkt wählt um zu sagen, alles könnt ihr euch nicht leisten, Wirtschaft hin oder her, ich glaube nicht, dass China damit gerechnet hat. Das war ein Schock."
Nationalismus als Kitt der Gesellschaft
Der Nationalismus - im Chinesischen wird häufig von Patriotismus gesprochen - ist seit den 1990er Jahren spürbar gewachsen. Seinen Ursprung hat er in zwei Quellen: Zum einen ist das Selbstbewusstsein der Chinesen infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs gestiegen. Andererseits ist der Druck im Inneren extrem stark geworden, denn die forcierte Entwicklung der Wirtschaft hat die Ungleichheiten zwischen Stadt und Land ebenso verschärft wie die Kluft zwischen Arm und Reich.
"Daher", sagt Agnes Schick-Chen, "stellt sich wieder die Frage nach der Legitimation der Führung", der Nationalismus soll somit als eine Art Kitt dienen.
Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 5. August 2008, 19:05 Uhr