Und ewig währt die Provokation

Das Hermann-Nitsch-Museum

Im Mai 2007 eröffnete ein Museum in Mistelbach, dessen Exponate kaum einen Weinviertler unberührt lassen. Blutregisseur Hermann Nitsch hat es noch zu Lebzeiten geschafft, ein eigenes Wallfahrtszentrum für seine Weltschau zu bekommen.

Mancher Hobbymaler will gefallen. Brüchige Landschaften, herzige Tiere, rosige Bekannte sind Auslöser für generelle Schaffenskraft, die den Amateur vom Mittagstisch wegtreibt. Im hypothekenbelasteten Wohnsalon küsst er seine Kids und Schatz Good-bye. Nur fort, in die selbstgestaltete, Klause wo er sich bei Rotwein, Wohlklang und Farbakzent entspannt. Solch einer will Harmonie, will Lob, will gelten als einer, der neben dem Prozessorprogrammieren den Anforderungen des Arbeitsmarkts und der Lebensqualität gewachsen ist. Einer, der auch eine Ader hat. Die Aorta fürs Feinsinnige.

Kommt dieser Wanderer nun nach Mistelbach, kann es passieren. Kunst kommt von Können, belehrt er. Denn ums technische Besserwerden bemüht er sich, liest gebundene Bücher, verbringt Kurswochen im Olivenhain. Kunst soll gefallen, trotzt er. Da steht er nun in der Kathedrale aus getrocknetem Blut mit Umbra natur und Krapplack unterm Fingernagel, und Schatz.

Ein eigenes Wallfahrtszentrum

Im Mai 2007 öffnete das Nitschmuseum in Mistelbach seine Pforten. Pforten zur Hölle, wenn's nach der Meinung einiger Mistelbacher geht.

Ewiger Aufreger der Hobbymaler und Uneingeweihten, anerkannter Hut bei Toleranten und Insidern: Blutregisseur Hermann Nitsch hat es noch zu Lebzeiten und im Rahmen eines Museumsquartiers geschafft, sein eigenes Wallfahrtszentrum für seine mystisch-dionysische Weltschau zu bekommen. Die meisten Bürger verweigern sich trotzig einer Aussage, wenn sie auf den umstrittenen Aktionskünstler Hermann Nitsch und sein Museum angesprochen werden. Die Freude an der senkrecht installierten Schlachtplatte lässt zu wünschen übrig.

Alle Sinne strapazieren

Einige Mistelbacher jedoch anerkennen seine Kunst, sind neuerdings stolz auf den Ziehsohn der Gemeinde und können mit der Tatsache umgehen, dass sich die blutigen Werke in einem Museum gleich um die Ecke befinden. In Prinzendorf nahe Mistelbach, in einem Schloss, das er sich seit seiner Kindheit erträumt hatte, konnte er sich durch verhaltensauffällige Aktionen, die alle Sinne strapazierten, richtig ausleben. Über die Schlossmauern hinweg schallten Schrei- und Lärmorchestrierungen und bewiesen Nitschs umfassendes Schaffenswollen, auch Ohren in die Orgien-Mysterien einzuweihen.

Zur feierlichen Eröffnung des Museums komponierte er dann eigens ein Triptychon aus dunklen Abgründen metaphysischer Unisonoklänge, wie es im Booklet zur CD ausgewiesen wird. Wartet man bis Sekunde dreißig, wird ein fröhliches sich endlos repetierendes Marschliedchen draus. Trance durch Platzkonzert.

Der "milde Kauz"

Manche kommen in das außen grau gepinselte Museum, um Nitsch in seinem ewig roten Kern zu verstehen, doch der warme Geruch von Kunst, Religion, Auferstehung und rauschartiger Sinnlichkeit als Ausdruck Nitschens Lebensbejahung haftet der gegebenen Erklärung ebenso an wie der insgeheime Verdacht auf ungemein vermarktungstaugliche Strategien wie Ausdauer und Sturheit.

Das einstige Enfant terrible ist 70, trägt die Ehrenmedaille der Stadt Wien und führt, zur Marke "milder Kauz" geworden, manchmal selbst durch die imposanten Hallen des für ihn errichteten Werkaltars. Pilgerstätte für Aktionisten mit sauberen Händen, Ausflugsziel für alle anderen, für die gilt, dass Kunst ein sehr weiter Begriff ist.

Hör-Tipps
Ganz Ich, Donnerstag, 7. August 2008, 14:45 Uhr

Zeit-Ton, Donnerstag, 28. August 2008, 23:05 Uhr

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Hermann Nitsch Museum
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