Nostalgie und Zukunft der Vinylscheibe

Die Plattenindustrie

Nimmt man den Begriff wörtlich, dann ist das Geschäftsfeld "Plattenindustrie" im Jahr 2008 weit von alten Vorurteilen entfernt. In der Popmusik wird die Schallplatte die CD überleben, Vinyl ist für manche Genres tatsächlich ein Zukunftsmarkt.

Andi Bauer von My 45

Die Kulturindustrie ist böse! Fette Finsterlinge in Maßanzügen sitzen hinter gewaltigen Schreibtischen und entzünden ihre Zigarren mit Geldscheinen - Geld, das sie aus armen Künstlern herauspressen.

Für die ambitionierten Musikanten in den Probekellern ist klar: Die Plattenfirmen sind ein finsterer Moloch, dessen Fängen man sich ausliefern muss, um Erfolg zu haben, doch der Grad zwischen Gedeih und Verderb ist schmal.

Klein aber fein

Bei Flight 13-Duplication entsteht ein anderes Bild: Zwei junge Typen, die jeweils selbst in Bands spielen, sitzen in einem kleinen Büro in einer Seitenstraße von Karlsruhe, Baden-Württemberg. Läutet das Telefon, sind in der Regel ihre Auftraggeber dran: Bands beziehungsweise deren Plattenfirmen. Wenn die Musik im Kasten respektive auf einer Master-CD ist, wickelt Flight 13-Duplication die Umsetzung zum verkaufsfertigen Produkt ab, CDs mit Cover, aber eben auch Vinyl.

Die Kundschaft kommt vornehmlich aus der Ecke Punk und Hardcore, einer Subkultur, aber einem beständigen Markt mit treuen Fans, die Tonträger kaufen und zu einem guten Teil ihre Lieblingsmusik nach wie vor auf Schallplatte haben wollen. Typische Auflage für Vinyl: 500 Stück, davon oft 100 in Spezialausführung, wie zum Beispiel gefärbtes Vinyl. Auch leere, gravierte Seiten und Texte in der Auslaufrille erfreuen das Sammlerherz.

Der Vinylmarkt schien vor zehn Jahren noch eine Domäne der Clubmusik zu sein. Doch die DJs setzen inzwischen tendenziell auf digitale Systeme. Programme mit Interface-Platten wie Serato und Final Scratch oder rein digitale Lösungen wie Traktor sparen das Plattenschleppen, weil die Musik aus dem Laptop kommt. Natürlich gibt es auch hier Genres mit ausgeprägtem Vinylfaible - zum Beispiel Raggae. Der karibische Offbeat kommt traditionell von 7inches, also den kleinen 45er Scheiben mit dem großen Loch.

Baby-Konzerne

Diesen Markt bedient der Versand und Vertrieb africanbeat.de in Lindau am Bodensee. Seit kurzem gibt es als neues Geschäftsfeld die Fertigung der Tonträger. My 45 ist eine zweite Firma im selben Haus mit Vinylmastering und Presse. "In Jamaika selbst geht der Vinylmarkt zurück, hier in Deutschland und Europa ist der Markt konstant und wächst sogar ein bisschen", erklärt Philipp Radovanovic. Seine Erfahrungen aus dem Vertrieb und Andi Bauers Kompetenz beim Mastering führten zur Idee, das jamaikanische Geschäftmodell der kleinen, aber kompletten Plattenfirma in Mitteleuropa zu realisieren. Produktion, Vertrieb und Verkauf der Tonträger - alles kommt hier aus einer Hand. Theoretisch kann die Musik in Lindau abgegeben werden, nach eine paar Monaten wird der Erlös ausbezahlt.

Ähnliches strebt auch Björn Bieber von Flight 13-Duplication an. Seine Presse ist noch nicht betriebsbereit, doch Vinylmastering und Vertriebskontakte sind schon gebündelt. Mit dem Neumann VMS 70 Schneidetisch, einem "verkehrten Plattenspieler", kann Bieber aus dem Mastersignal der jeweiligen Musikproduzenten eine Urrille erstellen. Ein Positiv-Klangbild im Lack auf einer Aluscheibe, Folie genannt. Dass er diese "Hardware" bekam, verdankt er einer Gelegenheit. Hergestellt werden die Maschinen zur Vinylproduktion schon lang nicht mehr, die Szene ist klein, in der Regel gibt es Tische und Pressen nur, wenn jemand aus der alten Generation in den Ruhestand geht.

Subkultur rettet Vinyl
Das Vinylgewerbe ist im Pressbereich Kunststofftechnik zuzurechnen, das Mastering ist eher Tontechnik. Die jungen Vinylmacher sind aber keine einschlägigen Techniker mehr, sondern Leute aus den Subkulturen der Popmusik, die sich haben das nötige Fachwissen angeeignet haben.

Die Liebe zur jeweiligen Subkultur passt zur Schallplatte. Sie hält die Vinylindustrie am Leben - eine alte Industrie, wo viele Schritte vom Mastering bis zum Pressen sorgfältig beobachtet werden müssen, damit die Scheibe am Ende rund läuft. Große Strukturen bringen diese Liebe nicht mehr auf, aber so wie sich die Kulturindustrie im Kleinen darstellt, ist es ohnehin netter.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 1. September bis Donnerstag, 4. September 2008, 9:45 Uhr

Links
Flight 13-Duplication
MY 45
africanbeat.de