Die Stadtverwaltung wird ökonomisiert
Die unternehmerische Stadt
Seit den 1990er Jahren vollzieht sich in der Stadtpolitik ein grundsätzlicher Wandel. Die Verwaltung wird ökonomisiert. Managementmodelle ziehen in die Verwaltung ein. Der Bürger wird zum Kunden - eine kritische Entwicklung.
8. April 2017, 21:58
Wirtschaft und Staat hatten lange zwei unterschiedliche Logiken: Effizienz und Wettbewerb waren die Merkmale des Privaten, Rechtmäßigkeit und Lenkung durch politischen Willen zeichneten den Staat aus. Heute verschwimmen diese Grenzen.
Öffentliches Eigentum wird verkauft - die Krönung der Entwicklung: das Rathaus als Einkaufszentrum. Wir reden hier nicht von Trends in den USA. In Graz wurde vor kurzem diskutiert, ob das Rathaus nicht ein schönes Einkaufszentrum abgeben könnte. Zum anderen werden Investitionen von Privaten gesucht. Unter dem Schlagwort Public Private Partnership werden Projektbündnisse eingegangen, die nach Profitdenken organisiert sind.
Status des Kunden
Die Stadt wird zur unternehmerischen Stadt, die wie ein Unternehmer agiert, sagt der Berliner Stadtforscher Hartmut Häußermann: "Ein Verwaltungsakt heißt heute Produkt und man fragt: wie viel kostet das? Wie kann das kostengünstiger werden? Wie viele Produkte produzierst du am Tag? Diese Ökonomisierung des Verwaltungshandelns wird an die Bürger abgeben, die mehr Kosten zu tragen haben. Der Status des Bürgers wird vom Status des Kunden abgelöst".
Häußermann, der das Buch "Stadtpolitik" im Suhrkamp Verlag geschrieben hat, führt aus, welche Konsequenzen das hat: Die Stadt als Gemeinwesen löst sich auf. Früher konnte man bei einer städtischen Wohnbaugesellschaft reklamieren. Heute bietet einem ein privater Eigentümer bestenfalls noch an, die Wohnung zu verlassen. Der Schluss, dass die Privaten die Bösen und die städtischen Wohnbaugesellschaften die Guten sind, ist aber falsch. Denn so Häußermann:
Öffentliche Unternehmen pochen oft sogar rigider auf einem Rationalisierungskurs, weil sie sich vor dem Konkurrenten als besonders effektiv beweisen wollen - und das, wie aus dem Bereich des Wohnwesens bekannt, sogar auch auf Kosten einer sozial orientierten Politik (für die das Eigentum einst von der Kommune gebildet wurde). (Hartmut Häußermann, "Stadtpolitik")
Selbstentmachtung
Die Städte sehen sich zur Selbstentmachtung veranlasst. Von der Wettbewerbspolitik der EU angeordnet, müssen sich die Kommunen der Privatisierung beugen.
Es gibt bisher keine überzeugende Untersuchung, die nachgewiesen hätte, dass Aufgaben privatwirtschaftlich effizienter erledigt würden als von öffentlichen Betrieben oder Verwaltungen. Es gibt aber seit zwei Jahrzehnten ein propagandistisches Trommelfeuer zugunsten der Privatisierung öffentlicher Aufgaben und für eine schlanke Verwaltung, das besonders auch durch private Stiftungen mit großem Aufwand verstärkt wird." (Hartmut Häußermann, "Stadtpolitik")
Die Städte ziehen sich in der Energieversorgung und Entsorgung, im Gesundheitswesen oder bei der Wasserversorgung aus der Verantwortung. Doch was ist so schlecht daran? Die Kommunalpolitiker freut es. Sie müssen sich nicht mehr für ständig steigende Nebenkosten in einer Stadt oder für Versorgungsprobleme prügeln lassen. Aber: insbesondere im Baubereich registriert Häußermann immer wieder neue Fälle von Bestechung und Korruption - je intensiver die Kooperation zwischen öffentlicher Hand und privaten Investoren wird.
Verschwinden der Ressourcen
Mit der Privatisierung haben die Städte ihre eigenen Ressourcen und Kompetenzen aufgelöst. Sie können nicht mehr selbst bestimmen.
Für die europäischen Städte war es seit Jahrhunderten typisch, dass sie über einen großen Teil des Bodens in der Stadt verfügen konnten. Mit diesem Pfund konnten sie wuchern - beim Umbau der Innenstädte und bei der Stadterweiterung. Sie waren ernstzunehmende Partner, ohne dessen Zustimmung nichts lief. Das wird nicht so bleiben, wenn die Städte ihr Grundeigentum verschleudern, um weniger Zinsen zahlen zu müssen. (Hartmut Häußermann, "Stadtpolitik")
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Buch-Tipp
Hartmut Häußermann, Dieter Läpple, Walter Siebel, "Stadtpolitik", Edition Suhrkamp