Neuer "Faust" an der Wiener Staatsoper

Gounods "Faust" im Spiegel der Schallplatte

Charles Gounods Goethe-Vertonung "Faust" gilt die erste Staatsopernpremiere der Saison, womit das Werk nach fast 18-jähriger Absenz wieder in den Spielplan zurückkehrt. Auch im Bereich der Schallplatte zählt dieser Faust zu den meistaufgenommenen Opern.

In Kürze wird mit Charles Gounods "Faust" die erste Premiere der neuen Spielzeit in der Staatsoper über die Bühne gehen. Ein Werk, das einst zum Standardrepertoire gezählt hat, insbesondere im deutschen Sprachraum, da allerdings lange Zeit unter dem fast verschämten Titel Margarethe, quasi um damit Goethes Monumental-Epos Faust nicht anzukratzen! Aber auch heute noch gehört Gounods Goethe-Adaption international zu den beliebtesten Werken, lediglich an der Wiener Staatsoper stand dieser "Faust" nun schon fast 18 Jahre lang nicht mehr am Spielplan.

Doch wer sich an die letzte Inszenierung des Filmregisseurs Ken Russell aus dem Jahr 1985 erinnert, wird dabei wahrscheinlich nicht sehr traurig sein. Nun steht also eine Neuinszenierung ins Haus und damit auch die gemeinsame Wiederkehr des mehr als ein Jahrzehnt als Operntraumpaar gefeierten Duos Angela Gheorghiu und Roberto Alagna, selbst wenn der Markt sich inzwischen andere Konstellationen gesucht und wohl auch gefunden hat.

Erste Gesamtaufnahme feiert heuer 100. Geburtstag

Ein Blick in einschlägige Kataloge zeigt Gounods "Faust" auch als eine der meistaufgenommenen Opern der Schallplattengeschichte. Bereits vor 100 Jahren entstand in Berlin die wahrscheinlich älteste Gesamtaufnahme, wobei man "gesamt" allerdings aufgrund der damaligen technischen Möglichkeiten nicht ganz wörtlich nehmen kann; immerhin aber vermittelt diese Aufnahme durchaus einen komplexen Eindruck und zeigt wohl ebenso einiges über Interpretations- und Aufführungspraxis in dieser Zeit.

Davon abgesehen ist mit Emmy Destinn eine der großen Primadonnen aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu hören.

Vom Trichter zum Mikrophon

War diese erste Faust-Einspielung natürlich noch eine Trichteraufnahme, wird es für Konsumenten von heute eigentlich erst mit den elektrischen Aufnahmen (also via Mikrophon) interessant, etwa wenn 1930 Sir Thomas Beecham am Pult steht, allerdings wird hier englisch gesungen und auch die Solisten sind heute kaum mehr bekannt. Aber Sir Thomas hat "Faust" 1948 nochmals und dann bereits original aufgenommen, doch auch in dieser Einspielung setzt er auf eher unbekannte Solisten.

Vokale Exotik

Wer Sinn für "vokale Exotik" besitzt, sollte keinesfalls an einer russischen Aufnahme (Melodya) aus dem Jahr 1947 vorbeigehen. Hochkarätige sowjetische Gesangsstars wie Iwan Koslowski, Pavel Lisizian oder Alexander Pirogov bieten in dieser Einspielung wahre Sternstunden, und dass dabei russisch gesungen wird, vergisst man nach wenigen Minuten.

Di Stefanos hohes C
Eine Studio-Aufnahme aus New York aus dem Jahr 1951 (Columbia) hat als größten Trumpf den italienischen Bassisten Cesare Siepi in ihrer Besetzungsliste, während man bedauert, dass hier nicht Jussi Björling oder Giuseppe di Stefano in der Titelrolle mit dabei sind.

Immerhin hat di Stefano zwei Jahre davor an der MET als Faust einen Sensationserfolg gefeiert und dabei sogar Rudolf Bing, der damals gerade seine erste MET-Saison vorbereitete, tief beeindruckt. Nie im Leben habe er einen schöneren Ton gehört als di Stefanos abgeschwelltes hohes C in der Faust-Kavatine, bekannte der ansonsten ziemlich emotionslose Manager später in seinen Erinnerungen.

Klassiker: zwei Mal Faust unter Cluytens
1953 entstand schließlich in Paris für EMI jene Einspielung, die heute gemeinhin als klassisch gilt und die Andre Cluytens fünf Jahre später sogar nochmals in nahezu identer Besetzung wiederholt hat, diesmal bereits in Stereophonie. Victoria de los Angeles, Nicolai Gedda und Boris Christoff waren die dabei bis heute unerreichten Protagonisten.

Stilfrage Franco Corelli
1966 setzte Decca dann abermals auf Starnamen, konnte aber trotz Joan Sutherland, Franco Corelli und Nicolai Ghiaurov nicht jene Resonanz erzielen, die man sich erhofft hatte. Insbesondere Franco Corelli, optisch wie stimmlich ein wahrer Traumtenor, ließ insbesondere für puristische Kritiker jenen spezifisch französischen Gesangsstil vermissen, den sie etwa Nicolai Gedda zubilligten, der allerdings immer eine Sonderstellung eingenommen hat und praktisch in allen Stilrichtungen zuhause gewesen ist.

Uneinheitlich trotz Starglanz
Auch fast alle folgenden Einspielungen kranken an einer gewissen Uneinheitlichkeit, ob das nun die 1976 in Strasbourg entstandene Aufnahme unter Alain Lombard ist, die immerhin mit Montserrat Caballe und Giacomo Aragall punkten kann, oder der zehn Jahre später in München produzierte "Faust" mit Kiri te Kanawa, die Einspielung unter Michel Plasson mit Cheryl Studer aus Toulouse, in der immerhin auch Richard Leech und Thomas Hampson (Valentin) Pluspunkte darstellen, oder der Studio-Faust aus dem Jahr 1993 unter Carlo Rizzi, in der wohl nur Samuel Ramey ein echter Star ist.

Bleibt als einziger weiterer Anwärter auf das Prädikat "klassisch" die Einspielung unter Georges Pretre von 1978 mit Mirella Freni, Placido Domingo und Nicolai Ghiaurov.

Faust auf Deutsch
Wer "Faust" gerne auf Deutsch hören möchte, hat dazu ebenfalls mehrfach Gelegenheit. In Querschnitten mit Gedda und Moll oder mit Schock und Frick, wobei in letzterem auch noch Hilde Güden als Margarethe durchaus einen Gewinn darstellt.

Auch deutsche Gesamtaufnahmen aus den 1930/40er Jahren sind nach wie vor am Markt und können durchaus Freude bescheren, falls man sich mit der eingeschränkten Klangqualität anfreunden kann. Einstige Lieblinge wie beispielsweise Helge Rosvaenge, Georg Hann oder Michael Bohnen sollten darüber jedenfalls rasch hinwegtrösten.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 30. September 2008, 15:06 Uhr

Link
Wiener Staatsoper