Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer

Machwerk

Volker Brauns Roman dreht sich um einen Mann der Arbeit und seinen Enkel, der jedwede Arbeit scheut. Der Text bewegt sich haarscharf an der Grenze zwischen Komik und Tragik, Volker Braun hat einen veritablen Schelmenroman geschrieben.

Um die Arbeit geht es in Volker Brauns neuem Buch, um die Frage nach dem Recht auf Arbeit, nach der Beschaffenheit und der Verteilung der Arbeit. Um diese Fragen auszuloten, schickt Volker Braun seinen Protagonisten Flick von Lauchhammer zu einer ganzen Reihe kurioser Einsätze. Flick war Havariemeister in einem Tagebau in der Niederlausitz, aber mit 60 Jahren wurde er entlassen - und die Arbeitslosigkeit ist für Flick ein unerträglicher Zustand:

Nun hätte der alte Sack an die Rente denken können, aber seine Mechanik war zu geölt, seine Unruhe zu lange aufgezogen worden, als dass er zur Ruhe kommen konnte. Er hatte sein ganzes Leben mit Arbeit zugebracht, sie war sein oberstes Lebensbedürfnis und wurde jetzt, da sie ihm entzogen war, eine wahre Sucht und Besessenheit. Er ging immer noch in seiner Montur herum, seiner unvermeidlichen Kluft, Karabinerhaken am Koppel, roter Helm. Er wusste wohl, dass man ihn nicht mehr rufen und holen würde, aber er war schwer von Begriff, d. h. er hing an den alten, abgeklapperten Worten Einsatz, Leistung; ein Durchreißer wie er im Buche stand. Jetzt war er zugeschlagen wie das Tor von Brieske-Ost.

Reales Vorbild

Flick wird also am Arbeitsamt vorstellig und übernimmt bereitwillig und voller Energie jeden ihm angebotenen Job. Er beseitigt mit einer Brigade anderer Ein-Euro-Jobber Abfälle in den Gruben, er verdingt sich als Baumpfleger oder Museumswärter, er fährt von Einsatz zu Einsatz, denn Einsätze kennt er noch aus seiner Zeit im Tagebau.

Tatsächlich hat Flick von Lauchhammer ein reales Vorbild aus Volker Brauns Vergangenheit: "Ich erinnerte mich an einen Mann, den ich kannte, als ich meine Jugend in einem großen Loch zubrachte, das heißt in einem Tagebau", erzählt Braun. "In diesem Tagebau standen diese Riesengeräte und wenn so ein Gerät stand, kam zu jeder Tag- und Nachtzeit ein Havariemensch, der fähig war, die Sache zu reparieren. Und wenn er auftauchte, in seiner Lederjacke, sonnengebräunt, ein fester Mann, dann wurden alle ganz ruhig und ernst und man fügte sich den Befehlen dieses Mannes. So. Und ich stellte mir vor, dieser Mann ist arbeitslos. Mit 60, wie jeder 'Schichtschlunk' in den Ruhestand versetzt, aber - ja, was macht er? Er kommt ja nicht zur Ruhe. (...) So einen Typ stellte ich mir vor, der in sich etwas hat, was ja eigentlich heute als ganz rückgewandt scheint."

Generationenkonflikt

Sogar im Arbeitsamt macht sich Flick mit seinem Tatendrang bald unbeliebt, aber wenn er dort keinen Job bekommt, ergreift er selbst die Initiative. Er hilft einer Frau im Krankenhaus beim Sterben, animiert einen müden Bautrupp zum Weiterarbeiten oder mischt sich in einen Streik vor einer Werkhalle ein.

Gleichsam als Gegengewicht stellt Volker Braun seinem eifrigen Helden dessen Enkel zur Seite, Ludwig, ein recht fauler Zeitgenosse, der der Arbeit kaum etwas abgewinnen kann.

"Das bringt natürlich den Konflikt zwischen diesen Generationen zum Vorschein, die eine, die gewohnt ist, dass man ein nützliches Wesen ist, und die andere, die vielleicht nicht mal eine Lehrstelle findet", so Braun. "Ludwig hat allerdings etwas, was der Alte vielleicht nicht hat, nämlich eine Art Gerechtigkeitsgefühl, er denkt also nicht bloß an die einen, sondern immer auch an die anderen."

So ziehen Flick und sein Enkel Ludwig durch die Lande, und während der eine immer auf der Suche nach einer Betätigung ist, versucht der andere, jeglicher Tätigkeit auszuweichen. Volker Braun schildert all dies in einem altmodisch anmutenden Stil, der nicht von ungefähr an große Klassiker wie etwa "Don Quichotte" oder den "Simplicissimus" erinnert.

Von einem Einsatz zum anderen

In 48 Schwänken schickt Volker Braun seinen ungewöhnlichen, aber liebenswerten Protagonisten von einem Einsatz zum anderen. Selbst dem Tod schlägt Flick ein Schnippchen: Zwar will der Alte sterben, als es keine Arbeit mehr für ihn gibt, aber als der Tod tatsächlich auftaucht, kann Flick es nicht lassen und muss auch ihm helfen, wodurch er am Leben bleibt. Es sind skurrile und phantastische Episoden, anhand derer Volker Braun seinen großen Fragen nachgeht:

"Was eigentlich soll diese menschliche Rasse als notwendige Arbeit begreifen und was sollte sie lieber fallen lassen und sein lassen? Und zum anderen: Wie ist diese Arbeit zu verteilen, damit nicht die einen draußen stehen und die anderen drin?"

In Volker Brauns Händen erhält das pragmatische Thema etwas Märchenhaftes und Surreales. Der Text bewegt sich haarscharf an der Grenze zwischen Komik und Tragik, der altmodische Duktus verleiht ihm etwas Liebenswürdiges, macht ihn aber gleichzeitig schwer fasslich. Volker Braun hat einen veritablen Schelmenroman geschrieben und darin auf kluge und verschachtelte Weise eine moderne Gesellschaftskritik versteckt.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 5. Oktober 2008, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
Volker Braun, "Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer”, Suhrkamp Verlag